Elektrokrampftherapie: Factsheet (DGSP 2025) und Studien zu Risiken und Nebenwirkungen

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Elektrokrampftherapie: Factsheet (DGSP 2025) und Studien zu Risiken und Nebenwirkungen

DGSP Factsheet Elektrokrampftherapie
Stand 05. September 2025
Link zum Papier
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Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) hat ein Papier mit einem Überblick zu Anwendung, Wirksamkeit, Risiken und ethischen Fragen der Elektrokrampftherapie (EKT) verfasst.
Ein Anlass für die Veröffentlichung dieses Papiers dürften Bestrebungen in Deutschland sein, die zwangsweise Anwendung der EKT zu ermöglichen bzw. auszuweiten. So befürwortet die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einem Expertenkonsensus (2025) die Möglichkeit der zwangsweisen Durchführung der EKT – vergleichbar der zwangsweisen Verabreichung von Psychopharmaka
Die DGSP hat derzeit keine abschließende Position zur EKT, spricht sich jedoch klar gegen eine zwangsweise Durchführung aus.



Inhalt
  • Was ist die Elektrokrampftherapie?
  • Fakten über den Einsatz und Erfahrungen
  • Wirkung von EKT
  • Nebenwirkungen von EKT
  • Die WHO zu EKT bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen
  • Elektrokrampftherapie als Zwangsmaßnahme
  • Schlussbemerkungen
  • Literatur

Auszüge:
Es existieren auch Studienauswertungen, die die Wirksamkeit von EKT als nicht gesichert ansehen und aufgrund möglicher schwerwiegender und bei manchen dauerhafter Schädigungen (z. B. Amnesien) sowie eines leicht erhöhten Todesrisikos den Einsatz als wissenschaftlich nicht gerechtfertigt betrachten [11]. Die WHO bezeichnet EKT aufgrund möglicher dauerhafter Schädigungen als schwerwiegende, invasive oder irreversible Methode [12].
Die WHO zu EKT bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen

Die WHO steht der EKT generell kritisch gegenüber und fordert eine Abkehr vom biomedizinischen Krankheitsmodell hin zu einem psychosozialen Modell. In den WHO-Guidelines heißt es: „Where electroconvulsive therapy continues to be practised, its administration without a person’s prior written or documented free and informed consent is prohibited. It shall only be administered in modified form, i.e. with the use of anaesthesia and muscle relaxants, and not be applied to children or adolescents.“ (S. 59; 9789240080737-eng.pdf). Danach verbietet sich die EKT ohne schriftliche bzw. dokumentierte freiwillige & informierte Zustimmung; zudem soll sie nicht bei Kindern oder Jugendlichen angewandt werden.
Die DGSP spricht sich gegen eine zwangsweise Durchführung der EKT aus. Ziel ist eine psychiatrische Versorgung ohne Zwang. Statt einer Ausweitung von Zwangsmaßnahmen braucht es eine umfassende Aufklärung der Betroffenen – insbesondere über Möglichkeiten einer psychiatrischen Patient:innenverfügung für Situationen schwerer Krisen, in denen der natürliche Wille einer Person nicht eindeutig festgestellt werden kann.
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Forschungsartikel: Die Nebenwirkungen der Elektrokrampftherapie jenseits des Gedächtnisverlust (Read et al., 2025)

Forschungsartikel
Die Nebenwirkungen der Elektrokrampftherapie jenseits des Gedächtnisverlusts: eine internationale Umfrage unter Patienten und Angehörigen
Link zur Studie

Es ist bekannt, dass Elektrokrampftherapie (EKT, Elektroschockbehandlung) bleibende Gedächtnisstörungen hinterlassen kann. Eine Forschergruppe um John Read wollte herausfinden, welche weiteren Nebenwirkungen es gibt, wie häufig und wie schwerwiegend sie sind. Dazu führten sie eine internationale Online-Umfrage unter Menschen, die eine EKT erhalten hatten, sowie unter Angehörigen und Freunden durch. Gefragt wurde über die nachteiligen Auswirkungen von EKT in den körperlichen, psychischen und zwischenmenschlichen Bereichen. Eine Einschränkung der Studie besteht in einer möglichen Verzerrung der Ergebnisse aufgrund der Methodik einer Onlineumfrage mit Selbstberichten.

Abstrakt:

Die Forschung zur Sicherheit der Elektrokrampftherapie (EKT) konzentriert sich in der Regel auf Gedächtnisverlust. Studien, in denen Patienten direkt befragt werden, zeigen ein breiteres Spektrum an Nebenwirkungen. Dieser Artikel berichtet über die Antworten von 747 EKT-Patienten und 201 Angehörigen/Freunden aus 37 Ländern auf eine Frage zu 25 möglichen Nebenwirkungen in einer Online-Umfrage.
Siebzehn der 25 Nebenwirkungen wurden von mehr als der Hälfte sowohl der EKT-Patienten als auch der Angehörigen/Freunde angegeben. Acht wurden von mehr als 67 % beider Gruppen angegeben: Den Gedankenfaden verlieren, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, emotionale Abstumpfung, Beziehungsprobleme, Verlust der Unabhängigkeit, Orientierungsschwierigkeiten und Verlust des Wortschatzes.
Die ersten vier davon wurden von mindestens 30 % beider Gruppen als „schwerwiegend” beschrieben. Mehrere einzelne Nebenwirkungen standen in einem positiven Zusammenhang mit einer höheren Anzahl von EKT-Behandlungen und einer höheren Gesamtzahl an einzelnen EKT-Behandlungen, mit dem weiblichen Geschlecht und mit einer beidseitigen Elektrodenplatzierung.
Eine neuere EKT war nicht, wie oft behauptet, mit weniger Nebenwirkungen verbunden. Forscher und psychiatrisches Fachpersonal sollten ihr Augenmerk auf ein breiteres Spektrum potenzieller Nebenwirkungen als nur Gedächtnisverlust richten, um eine umfassende Aufklärung der Patienten zu ermöglichen, diese Nebenwirkungen nach Möglichkeit zu minimieren und, wo dies nicht möglich ist, die Patienten an Rehabilitationsprogramme zu überweisen.

Häufigkeit von Nebenwirkungen Tabelle 1
Angegeben von EKT-Behandelten / Angehörigen, Freunden
  • "Den Gedankenfaden verlieren": 87.5% / 71.5%
  • Konzentrationsschwierigkeiten: 85.6% / 79.1%
  • Fatigue: 79.6% / 73.3%
  • Schwierigkeiten beim Lesen: 77.7% / 53.6%
  • Emotionale Abstumpfung: 76.4% / 72.6%
  • Orientierungsprobleme: 72.8% / 67.9%
  • Verringerung des Wortschatzes: 71.8% /63.3%
  • Beziehungsprobleme: 67.8% / 70.2%
  • Verlust der Selbstständigkeit: 67.2% / 71.5%
  • Schwierigkeiten Gesichter zu erkennen: 62.2% / 53.6%
  • Geräuschempfindlichkeit: 61.6% / 51.9%
  • Schwierigkeiten einzukaufen: 60.9% / 61.0%
  • Schwierigkeiten einen Computer zu benutzen: 60.7% / 61.0%
  • Schwierigkeiten zu Kochen: 60.7% / 67.5%
  • Schwierigkeiten Auto zu fahren: 59.9% / 64.5%
  • Verlust des Arbeitsplatzes: 54.5% / 54.8%
  • Kopfscherzen (über die Aufwachphase nach der EKT hinaus): 53.9% / 59.6%
  • Schwierigkeiten mit Geld umzugehen: 49.7% / 63.8%
  • Lichtempfindlichkeit: 49.2% / 38.9%
  • Zitternde Hände: 49.2% / 38.9%
  • Gegen Gegenstände laufen: 45.0% / 35.4%
  • Hinfallen: 40.3% / 43.6%
  • Verwaschene Sprache: 37.5% / 55.1%
  • Herzprobleme: 22.9% / 24.2%
  • Anfälle, Krämpfe: 15.6% / 23.3%"
Schweregrad der Nebenwirkungen siehe Tabelle 2


Informierte Einwilligung

"Die meisten (59%) der EKT-Empfänger, die auf die aktuelle Umfrage reagierten, berichteten, dass ihnen keine „angemessenen Informationen“ gegeben wurden (Read et al., Citation2025c). Zum Beispiel wurde nur 17 % gesagt, dass "EKT langfristige oder dauerhafte Gedächtnisprobleme verursachen kann" und 12 %, dass "EKT Herzprobleme verursachen kann"."


Schlussfolgerungen

Die hohe Häufigkeit einer Vielzahl von Nebenwirkungen, die hier von Patienten und Familienangehörigen berichtet wird, bestätigt mehrere kleinere Studien. Diese Ergebnisse sind besorgniserregend. Forscher und Mediziner sollten neben den zahlreichen und schwerwiegenden Auswirkungen des Gedächtnisverlusts selbst auch ein viel breiteres Spektrum von Nebenwirkungen berücksichtigen, die über den Gedächtnisverlust hinausgehen.

Die Unterscheidung zwischen Gedächtnisverlust und einigen der berichteten Auswirkungen ist nicht eindeutig. Beispielsweise ist das Nicht-Erkennen von Freunden ein Anzeichen für Gedächtnisverlust. Unser Titel »Jenseits des Gedächtnisverlusts« kann daher irreführend sein. Einige der Berichte über Nebenwirkungen lassen sich genauer als Erweiterung der (bislang begrenzten) Erkenntnis über Gedächtnisverlust beschreiben – und nicht als „neue/zusätzliche/andere” Nebenwirkungen an sich. Wenn Gedächtnisverlust im Wesentlichen ein Anzeichen für eine Schädigung des Gehirns ist, dann ist es in gewisser Weise nicht möglich, diese Nebenwirkungen voneinander zu trennen – sie alle sind auf eine Schädigung des Gehirns zurückzuführen.

Es ist daher notwendig, die vielen sich überschneidenden und gegenseitig beeinflussenden Mechanismen anzuerkennen, auf denen die EKT Nebenwirkungen verursachen kann, von denen viele die zentrale Rolle der kognitiven Beeinträchtigung bestätigen.

Es liegt in der Verantwortung aller Mitarbeiter im psychiatrischen Gesundheitswesen, dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der informierten Einwilligung eingehalten wird. Alle potenziellen EKT-Patienten und ihre Familien sollten daher über die gesamte Bandbreite der Risiken der EKT aufgeklärt werden. Darüber hinaus sind alle Mitarbeiter dafür verantwortlich, Nebenwirkungen nach Möglichkeit zu begrenzen oder zu vermeiden und, wenn dies nicht möglich ist, dafür zu sorgen, dass die Patienten an geeignete Rehabilitationsprogramme überwiesen werden.
Quellenangabe:
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Read, J., Cunliffe, S., Hancock, S. P., Harrop, C., Johnstone, L., & Morrison, L. (2025). The adverse effects of electroconvulsive therapy beyond memory loss: an international survey of recipients and relatives. International Journal of Mental Health, 1–21. https://doi.org/10.1080/00207411.2025.2576946
Der Orginalartikel steht unter einer CC Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/),
Ein weiterer Artikel zur Sudie auf Mad in America: Elektrokonvulsive Therapie (EKT): Es ist nicht nur der Gedächtnisverlust von Chris Harrop
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