"Stabilisieren-reduzieren, stabilisieren-reduzieren": Ein Überblick über das gängige Vorgehen der Deprescribing-Dienste

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"Stabilisieren-reduzieren, stabilisieren-reduzieren": Ein Überblick über das gängige Vorgehen der Deprescribing-Dienste

"Stabilisieren-reduzieren, stabilisieren-reduzieren": Ein Überblick über die gängige Vorgehensweisen der Deprescribing-Dienste und Empfehlungen für zukünftige Dienstleistungen (Cooper et al.) März 2023 auf Plos One

Ein britisches Forscherteam (Ruth E. Cooper, Michael Ashman, Jo Lomani, Joanna Moncrieff, Anne Guy, James Davies, Nicola Morant, Mark Horowitz) befragte Dienste, deren Aufgabe die Unterstützung von Patienten beim Absetzen von Psychopharmaka ist, wie sie dabei vorgehen. Ihr Ziel war, Faktoren zu identifizieren, die für die Patienten hilfreich waren, um erfolgreich abzusetzen. Daraus entwickelten sie Empfehlungen für "Deprescribing-Dienste".*¹


Auszugsweise Übersetzung:

Abstract

Hintergrund:

"Public Health England forderte kürzlich die Einrichtung von Diensten, die Menschen helfen, verschriebene Medikamente, die mit Abhängigkeit und Entzug verbunden sind, sicher abzusetzen, einschließlich Benzodiazepine, Z-Drugs, Antidepressiva, Gabapentinoide und Opioide. NICE *² stellte einen Wissensmangel über das beste Modell für eine solche Leistungserbringung fest. Aus diesem Grund haben wir eine globale Umfrage bei bestehenden Deprescribing-Diensten durchgeführt, um gängige Vorgehensweisen zu identifizieren und die Entwicklung von Dienstleistungen zu unterstützen".

Methoden:

"Wir identifizierten bestehende Deprescribing-Dienste und befragten Schlüsselpersonen in diesen Diensten anhand eines Interviews, das in Zusammenarbeit mit Forschern mit eigener Entzugserfahrung erstellt wurde. Wir fassten die gängigen Vorgehensweisen der Dienste zusammen und analysierten die Interviews mit einer schnellen Form der qualitativen Rahmenanalyse."

Ergebnisse:

"Dreizehn Deprescribing-Dienste wurden einbezogen (8 aus dem Vereinigten Königreich, 5 aus anderen Ländern). Die üblichen Vorgehensweisen in den Diensten waren: allmähliches Ausschleichen der Medikamente, oft über mehr als ein Jahr, und Reduktionen, die in einer weitgehend hyperbolischen Weise vorgenommen wurden (kleinere Reduktionen, wenn die Gesamtdosis niedriger wurde).
Die Reduktionen wurden individualisiert, so dass die Entzugssymptome erträglich blieben, wobei der Patient bei den meisten Diensten die Entscheidungsfindung leitete.
Während des gesamten Prozesses wurden Unterstützung und Beruhigung angeboten, manchmal über telefonische Unterstützungs-Hotlines.
Psychosoziale Unterstützung für die Behandlung von Grunderkrankungen (z. B. KVT, Beratung) wurde durch den Dienst selbst oder durch Überweisung bereitgestellt.
Eigene Entzugserfahrung wurde oft durch die Gründer der Dienste, Einstellungskriterien, Peer-Support und Informationsquellen in die Dienstleistungen integriert, um das Ausschleichen zu leiten."

Schlussfolgerungen:


Wir haben viele gängige Vorgehensweisen in bestehenden Deprescribing-Diensten auf der ganzen Welt gefunden. Wir schlagen vor, dass diese Bestandteile in die Leitlinien für die Beauftragung zukünftiger Dienstleistungen aufgenommen werden und schlagen die Richtung für weitere Forschung vor, um über das beste Vorgehen Klarheit zu schaffen.


Empfehlungen für die Deprescribing-Dienste

"Diese Umfrage zu Deprescribing-Diensten hat die folgenden allgemeinen Empfehlungen für zukünftige Dienstleistungen ergeben:
  • Medikamente sollten allmählich mithilfe hyperbolischer Strategien ausgeschlichen werden. Dies bedeutet, dass die Schritte, um die die Dosis gesenkt wird, mit abnehmender Dosis immer kleiner und kleiner werden, z. B. die Reduzierung des Medikaments um 10% der vorherigen Dosis. Um dies zu erleichtern, müssen die Dienste Zugang zu kleinen Dosen von Medikamenten wie Flüssigpräparate haben oder flexible Techniken wie das Zählen von Kügelchen verwenden. Die Dienste berichteten regelmäßig, dass Patienten, die eine Langzeitmedikation erhielten, oft mehr als ein Jahr brauchten, um abzusetzen, wobei einige Patienten erheblich länger benötigten.
  • Das Ausschleichen sollte individualisiert und flexibel sein und auf einer gemeinsamen Entscheidungsfindung beruhen. Unterschiede zwischen Individuen bezüglich physiologischer Entzugssymptome erforderten eine individuelle Betreuung. Ermutigung und Unterstützung weiterzumachen, war hilfreich, aber Zwang wurde üblicherweise nicht angewendet.
  • Psychosoziale Unterstützung sollte den Patienten während und bei Bedarf nach dem Entzug gewährt werden. Nach dem Entzug könnte der Dienst Patienten bei Bedarf zur weiteren psychosozialen Unterstützung überweisen. Für Psychotherapeuten kann Anleitung zur Arbeit mit Patienten, die Psychopharmaka einnehmen oder absetzen, hilfreich sein.
  • Eigene Entzugserfahrung sollte auf allen Ebenen integriert werden: Menschen mit eigener Erfahrung des erfolgreichen und erfolglosen Entzugs von verschriebenen abhängigmachenden Medikamenten müssen in die Konzeption, Entwicklung und Durchführung von Diensten einbezogen werden. Um dies in Großbritanien zu ermöglichen, wurde ein Beratungsgremium für Abhängigkeit von verschreibungspflichtigen Medikamenten (https://leap4pdd.org/) eingerichtet.
  • Der breitere Lebenskontext eines Patienten sollte berücksichtigt werden. Dies könnte die Einladung der Familie oder des sozialen Netzwerks zu Besprechungsterminen bezüglich des Entzugs beinhalten.
  • Spezielle Deprescribing-Dienste für verschriebene abhängigmachende Medikamente sind notwendig und sollten von den Suchtberatungsdiensten getrennt werden, da die meisten Patienten dies für unangemessen halten, da sie die Medikamente wie verordnet einnehmen.
Schulungs- und Aufklärungsprogramme sollten integriert werden, um eine vernetzte Versorgung zwischen Deprescribing-Diensten und anderen Gesundheits- und Sozialdienstleistern zu fördern."



Schlussfolgerung:

"Es besteht ein dringender Bedarf für Patienten, dass Deprescribing-Dienste eingerichtet werden, nicht nur für Patienten, die bereits Probleme erfahren, sondern auch für alle diejenigen, die bald durch Initiativen wie "Strukturiertes Medikationsüberprüfungsprogramm" identifiziert werden. Deprescribing-Dienste würden den Schaden verringern, der den Patienten durch unnötige Fortsetzung der Medikation entsteht, und den Schaden, der durch unsachgemäßes Absetzen von Medikamenten verursacht wird, sowie die Kosten in Form von Produktivitätsverlusten und Überforderung des Gesundheitssystems."


Cooper RE, Ashman M, Lomani J, Moncrieff J, Guy A, Davies J, et al. (2023) “Stabilise-reduce, stabilise-reduce”: A survey of the common practices of deprescribing services and recommendations for future services. PLoS ONE 18(3): e0282988. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0282988

Copyright der Orginalarbeit: © 2023 Cooper et al. This is an open access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License, which permits unrestricted use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original author and source are credited.



Anmerkungen:
*¹ Deprescribing bezeichnet einen systematischen Prozess, bei dem Medikamente mit größerem Schadens- als Nutzenpotenzial identifiziert und reduziert oder abgesetzt werden

*² NICE : National Institute for Health and Care Excellence. NICE arbeitet für die englischen Gesundheitsbehörde (National Health Service) und veröffentlicht u.a. Leitlinien zur Anwendung von Medikamenten.




Weiterer Artikel zur Studie: Globale Umfrage führt zu neuen Empfehlungen für das Absetzen von Psychopharmaka auf MIA (auf Deutsch anzeigbar)
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