Link zur Studie
Ein von Mark Horowitz geleitetes Forscherteam untersuchte mit dieser Arbeit die Auswirkungen eines Antidepressiva-Entzugs in der klinischen Alltagspraxis. Außerdem wollten sie herausfinden, welche Faktoren einen Einfluss auf die Häufigkeit, Schwere und Dauer der Entzugssymptome und auf den Erfolg des Entzugs hatten.
Teilübersetzung:
Kernpunkte
- Entzugserscheinungen von Antidepressiva sind häufig und können schwerwiegend und lang anhaltend sein
- Die Dauer der Einnahme von Antidepressiva war ein zentraler Faktor bei der Entwicklung von Entzugserscheinungen
- Kurzzeitige Anwender erleben meist kurze und milde Auswirkungen
- Langzeitkonsumenten (>24 Monate) erlebten häufige, oft schwere und länger anhaltende Auswirkungen
- Die Patienten sollten darüber informiert werden, dass es bei längerer Einnahme von Antidepressiva schwieriger wird, sie abzusetzen
Abstrakt
Hintergrund
Frühere Studien über den Entzug von Antidepressiva waren durch die kurze Dauer der Medikamenteneinnahme oder durch selbst gewählte Stichproben begrenzt. Ziel unserer Studie war es, die Auswirkungen des Entzugs in der klinischen Routinepraxis abzuschätzen.
Methoden
Es wurden Teilnehmer aus psychologischen Grundversorgungsdiensten des NHS befragt, die bereits einmal versucht hatten, ein Antidepressivum abzusetzen. Es wurden Regressionsmodelle erstellt, um den Zusammenhang zwischen persönlichen und medikamentösen Merkmalen und dem Entzug zu untersuchen.
Ergebnisse
Die Befragten (n=310) waren überwiegend weiblich (78%), weiß (75%) und im Durchschnitt 38,79 Jahre alt (SD 12,4). Die Beantwortungsquote lag bei 18 % der in Frage kommenden Patienten. 62 % gaben an, dass Antidepressiva hilfreich gewesen seien. 79 % berichteten über Entzugserscheinungen irgendeines Ausmaßes. 49 % berichteten über schwere oder mäßig schwere Symptome. 43 % erfüllten die strengste Definition eines Entzugssyndroms und berichteten über 4 oder mehr „nicht emotionale“ Entzugssymptome. 38 % der Teilnehmer berichteten, dass sie nicht in der Lage waren, ihr Antidepressivum abzusetzen, als sie dies versuchten. 20 % berichteten über Entzugssymptome, die länger als drei Monate andauerten, und 10 % über ein Jahr. In vollständig angepassten Modellen hatten diejenigen, die vor dem Absetzen mehr als 24 Monate lang Antidepressiva eingenommen hatten, eine höhere Wahrscheinlichkeit, ein Entzugssyndrom zu erleben (OR(95%CI)=10,41(2,88;37,67)), schwere Entzugserscheinungen zu berichten (OR(95%CI) = 5. 16(2,75;9,70)), länger anhaltende Symptome (OR(95%CI)=18,11(3,85;32,38) und eine geringere Wahrscheinlichkeit, mit der Medikamenteneinnahme aufhören zu können (OR(95%CI)=27,55(10,29;73,81)), als bei denjenigen, die sie weniger als sechs Monate einnahmen.
Schlussfolgerung
Antidepressiva-Entzugssymptome traten häufig auf und waren bei einem beträchtlichen Teil der Anwender schwer und langwierig. Eine längere Einnahmedauer ging mit einer höheren Wahrscheinlichkeit schwerer und langwieriger Symptome und einer geringeren Wahrscheinlichkeit einher, die Einnahme beenden zu können. Eine Einschränkung dieser Studie ist die geringe Antwortquote.
Auszüge:
Häufigkeit des Entzugssyndroms
"Die Dauer der Einnahme von Antidepressiva vor dem Absetzen des Medikaments war in bereinigten und nicht bereinigten Analysen stark mit der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Entzugssyndroms verbunden (Tabelle 4). Bei den Befragten, die Antidepressiva <6 Monate lang eingenommen hatten, traten bei 64,3 % Entzugserscheinungen jeglichen Schweregrads auf, verglichen mit 86,0 % und 95,7 % bei 7-24 Monaten bzw. >24 Monaten."
Schwere des Entzugs
"Es gab Hinweise auf ein Gefälle zwischen einer längeren Dauer der vorherigen Einnahme von Antidepressiva und dem Schweregrad der Entzugssymptome. Befragte, die Antidepressiva 0-6 Monate lang eingenommen hatten, berichteten überwiegend über keine oder leichte Entzugserscheinungen (73,1 %), nur 7,0 % gaben schwere Entzugserscheinungen an (Abbildung 2a). Bei den Befragten, die Antidepressiva seit 24 Monaten oder länger einnahmen, berichteten 63,7 % über mäßige oder schwere Entzugserscheinungen, davon 24,6 % über schwere Entzugserscheinungen."
Dauer des Entzugs
"Die Dauer der vorherigen Einnahme von Antidepressiva wurde ebenfalls mit der Dauer der Entzugssymptome in Verbindung gebracht. Von den Befragten, die Antidepressiva <6 Monate lang eingenommen hatten, berichteten nur 27,4 % über Entzugssymptome, die länger als vier Wochen andauerten, und 10,5 % berichteten über Symptome, die länger als drei Monate andauerten, während 7,4 % über Symptome berichteten, die länger als 12 Monate andauerten. Bei den Befragten, die Antidepressiva mehr als 24 Monate lang eingenommen hatten, betrugen die entsprechenden Zahlen 53,6 % (mehr als vier Wochen), 30,4 % (mehr als drei Monate) und 11,6 % (mehr als zwölf Monate) (Abbildung 2b)."
Absetzen oder nicht absetzen können
"Eine längere Einnahmedauer und ein risikoreicheres Antidepressivum gingen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit einher, nicht absetzen zu können: 23,2 % der Befragten, die Antidepressiva seit weniger als 6 Monaten einnahmen, waren nicht in der Lage, das Medikament abzusetzen; bei einer Einnahmedauer von 7-24 bzw. mehr als 24 Monaten waren es 39,8 % bzw. 79,4 % (Abbildung 2c). Von den Befragten, die „Hochrisiko“-Antidepressiva einnahmen, gaben 82,4 % an, sie nicht absetzen zu können, während 38,6 % der Befragten, die „Niedrigrisiko“-Antidepressiva einnahmen, sie nicht absetzen konnten.
Nach Bereinigung um Störfaktoren wurde eine längere vorherige Einnahme von Antidepressiva mit einer fünfmal höheren Wahrscheinlichkeit in Verbindung gebracht, das Medikament trotz Versuchs nicht absetzen zu können (OR(95%C) = 5,02(3,09;8,16) pro Kategorie Anstieg). Die Wahrscheinlichkeit, ein Antidepressivum nicht absetzen zu können, war bei denjenigen, die ein Hochrisiko-Medikament (mit dem höchsten Risiko von Entzugserscheinungen) einnahmen, mehr als achtmal so hoch wie bei denjenigen, die ein Niedrigrisiko-Medikament einnahmen (OR(95%CI) = 8,40(1,50-47,24)). Das Überspringen von Dosen war ebenfalls mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verbunden, nicht absetzen zu können, als alle anderen Absetztechniken. Keine anderen Variablen wurden mit der Absetzmöglichkeit von Antidepressiva in Verbindung gebracht."
Schlussfolgerung
"Bei einer Stichprobe von Patienten in psychologischer Grundversorgung, die versucht hatten, ein Antidepressivum abzusetzen, traten häufig Entzugserscheinungen auf. Die Dauer der vorherigen Einnahme von Antidepressiva wurde als Risikofaktor für das Auftreten, den Schweregrad und die Dauer der Entzugssymptome sowie die Fähigkeit, das Medikament abzusetzen, ermittelt. Nur wenige andere Merkmale wurden unabhängig voneinander mit den Entzugserscheinungen in Verbindung gebracht. Kurzzeitanwender (≤6 Monate) berichteten meist über leichte und kurze Symptome. Längerfristige Anwender (>24 Monate) berichteten meist über mittelschwere oder schwere Entzugserscheinungen (ein Viertel davon schwer). Fast ein Drittel der Langzeitkonsumenten berichtete über Symptome, die länger als drei Monate anhielten, und vier Fünftel dieser Patienten waren nicht in der Lage, ihr Antidepressivum abzusetzen, als sie dies versuchten.
Die Leitlinien sollten entsprechend aktualisiert und die Patienten über diese Risiken informiert werden, wenn sie die Aufnahme einer Behandlung mit Antidepressiva in Erwägung ziehen, entscheiden, ob sie die Behandlung fortsetzen oder absetzen wollen.(Cooper et al., 2023; John Read et al., 2023; J. Read et al., 2023) Die mit längerer Einnahme zunehmenden Risiken für Entzugssymptome sind ein Grund dafür, die Verschreibung von Langzeit-Antidepressiva in der Bevölkerung zu minimieren (Horowitz und Wilcock, 2022)".
Quellenangabe: Mark A. Horowitz, Joshua E.J. Buckman, Rob Saunders, Elisa Aguirre, James Davies, Joanna Moncrieff,
Antidepressants withdrawal effects and duration of use: a survey of patients enrolled in primary care psychotherapy services, Psychiatry Research, 2025, 116497, ISSN 0165-1781, https://doi.org/10.1016/j.psychres.2025.116497.
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