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Theorie über enthemmtes Alarmsystem

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Theorie über enthemmtes Alarmsystem

Link zum Original

Der Text wurde von LinLina für adfd.org übersetzt. Mit freundlicher Genehmigung von Altostrata stellen wir ihn euch auch hier zur Verfügung.
In diesem Text beschreibt Altostrata (Gründerin des amerikanischen Forums survivingantidepressants.org) ihre Theorie, wie es zu Antidepressiva-Absetzsyndromen und einer Enthemmung des körpereigenen Alarmsystems kommen könnte.


Eine Theorie über das Antidepressiva-Absetzsyndrom

Da ich seit Oktober 2004 unter Paxil-Absetzerscheinungen leide, habe ich die medizinische Literatur über das Antidepressiva-Absetzsyndrom studiert. Was ich dabei über das körpereigene Alarmsystem und das Glutamat-System in Bezug auf das Antidepressiva-Absetzsyndrom gelernt habe dürfte aufschlussreich sein.

Antidepressiva verursachen eine Herunterregulierung der Serotoninrezeptoren. Durch eine Art Selbstschutzmechanismus des Gehirns verschwinden die Rezeptoren. Ihre Anzahl wird verringert, um weniger Serotonin aufzunehmen. Einige Wissenschaftler, die das Absetzsyndrom untersuchen, nehmen an, dass all jene Menschen mit den gravierendsten Absetzbeschwerden eine verzögerte Wiederherstellung der Serotoninrezeptoren aufweisen.

Andere gehen davon aus, dass jene, die am stärksten unter dem Absetzen leiden, extrem neuroplastische Gehirne haben. Ihre Neurotransmittersysteme passen sich stärker an die Medikation an.

Die relativ langsame Wiederherstellung der Rezeptoren bedeutet nicht, dass unser Gehirn grundsätzlich fehlerhaft funktioniert. Es heißt nur, dass Nervensysteme (natürlich) eine gewisse Variabilität aufweisen.

Sogar bei Menschen, die unter den schlimmsten Antidepressiva-Absetzsyndromen leiden, werden die Serotoninrezeptoren wahrscheinlich lange vor dem Abklingen der Symptome regeneriert. Während der Reparaturphase des Serotoninsystems gerät jedoch das vegetative Nervensystem aus dem Gleichgewicht. Das „Flucht oder Kampf“-Zentrum im Locus caeruleus wird enthemmt und das Glutamat-System wird aktiver als im Normalzustand. Dies nennt man Enthemmung des körpereigenen Alarmsystems und es ruft Symptome wie Panik, Angstzustände, Schlaflosigkeit und furchtbare Vorstellungen hervor.

In dieser Veröffentlichung wird erklärt wie Absetzen von Antidepressiva das Alarmsystem enthemmt:
Harvey, et al: Neurobiology of antidepressant withdrawal: implications for the longitudinal outcome of depression; Biological Psychiatry. 2003 Nov 15;54(10):1105-17. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/14625154/

Ist das Alarmsystem einmal enthemmt, erhält es diesen Zustand selbst aufrecht. Das ganze Konzept eines Neurotransmitter-Ungleichgewichts – ohnehin ein Hirngespinst der Psychiatrie – wird dadurch in Frage gestellt. Die Manipulation von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin ist nicht hilfreich. In Wirklichkeit verschlimmert sie den Zustand sogar meist.

Noradrenalin beeinflussende Medikamente – Buproprion oder Wellbutrin, Mirtazapin oder Remeron; SNRI wie Cymbalta, Effexor und Johanniskraut, Rosenwurz – stimulieren den “Kampf oder Flucht” Mechanismus genauso wie die meisten SSRI. Solche Medikamente und andere stimulierend wirkenden Substanzen sollten vermieden werden.

Sogar beruhigend wirkende Medikamente können eine paradoxe Reaktion hervorrufen, da das Alarmsystem darum kämpft die Kontrolle zu behalten.

Meine Interpretation ist: Die erste akute Phase nach dem Absetzen ist der erste Absetz-Schock mit den am besten beschriebenen Symptomen wie „Brain Zaps“ (Gefühl, einen elektrischen Schlag im Gehirn zu bekommen), Übelkeit/Schwindel und Wellen ungewöhnlich intensiver „Angst“ und „Depression“ – Emotionen, die durch das neurologische Durcheinander hervorgerufen werden. Später überwiegen die Übererregbarkeit des Glutamat-Systems und die Instabilität des vegetativen Nervensystems. Oft führt diese Instabilität zu umfassenden Unverträglichkeiten/Übersensibilität gegenüber Medikamenten, Nahrungsergänzungsmitteln und sogar Lebensmitteln.

Das Alarmsystem gerät ungeachtet äußerlicher oder psychischer Auslöser völlig außer Kontrolle und sendet starke Signale an die Nebennieren, die darauf hin die Stresshormone Cortisol und Adrenalin ausschütten.

Dies bedeutet keine Gehirnschädigung im engeren Sinne. Gehirnschaden hieße, ein bestimmter, physischer Bereich des Gehirns ginge verloren und kann nicht wieder hergestellt werden. Es bedeutet vielmehr dass ein iatrogener, neuropsychiatrischer Schaden entstanden ist.

Laut anerkannter Erkenntnisse über die Neuroplastizität kann das Nervensystem sich selbst regenerieren und eine weitgehend normale Funktion zurück erlangen. In Fällen, in denen es keinen offensichtlichen, iatrogenen Grund für die Funktionsstörung des vegetativen Nervensystems gibt, erfolgt die Erholung meist spontan. Wenig Stress, gute Ernährung und so viel Schlaf und sanfte Bewegung wie möglich sind der Schlüssel zur Heilung.

In der medizinischen Literatur über das Absetzen von Antidepressiva werden Symptome des enthemmten Alarmsystems – wie Angst, Panik, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, innere Unruhe – manchmal fälschlicherweise als wieder Auftauchen oder neu Erscheinen einer bipolaren Störung gedeutet. Dies bringt die Ärzte dazu, den Patienten mit einer Vielzahl an Medikamenten zu behandeln, auf die der Patient sehr schlecht anspricht. Der neuropsychiatrische Schaden durch das Absetzen des Antidepressivums wird durch zusätzliche Medikation und Nebenwirkungen verschlimmert.

In „Anatomy of an Epidemic“ (Anatomie einer Epidemie) beschreibt Robert Whitaker wie dieser Prozess bei vielen Kindern durch schädliche Wirkungen von Antidepressiva und einer falsch diagnostizierten bipolaren Störung zu lebenslanger Medikation führt.

Es sind immer die Opfer, die zur Verantwortung gezogen werden, nicht die Medikamente. Es wird Zeit, dass wir uns genauer ansehen, wie das Absetzen das Nervensystem beeinflusst, und dass wir hinterfragen, ob das chronische Herunterregulieren von Serotonin-Rezeptoren durch die Langzeiteinnahme von Antidepressiva wirklich ungefährlich ist.

Copyright des englischen Originals: Altostrata
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