Erfahrungsbericht Levande: Psychopharmakafrei nach 28 Jahren Einnahme von insgesamt 40 verschiedenen Psychopharmaka

Berichte von Betroffenen, die bereits Antidepressiva, Benzodiazepine, Neuroleptika (Antipsychotika) oder Phasenprophylaktika abgesetzt haben
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Erfahrungsbericht Levande: Psychopharmakafrei nach 28 Jahren Einnahme von insgesamt 40 verschiedenen Psychopharmaka

Levande hat über 28 Jahre insgesamt 40 verschiedene Psychopharmaka, darunter Antidepressiva, Neuroleptika, Benzodiazepine, Phasenprophylaktika und zuletzt Stimulanzien eingenommen. Nun ist sie komplett frei davon.
Ihren mutmachenden Erfahrungsbericht stellen wir mit ihrer freundlichen Genehmigung hier ein:



Der Beginn der Einnahme
1997 begann ich nach jahrelanger erfolgloser Psychotherapie Medikamente zu nehmen. Der Psychiater wies mich auf Nebenwirkungen und Absetzsymptome hin. Ich war so verzweifelt und so lange nicht ausbildungsfähig, dass ich in meiner Verzweiflung begann Antidepressiva zu nehmen.
Im Nachhinein war meine vermeintliche Depression vermutlich ADHS, Burnout, Nahrungsmittelinteloranzen plus Traumafolgestörung. Eine wirkliche Depression hatte ich Jahre später als klar wurde, dass ich nicht arbeiten können würde. Das fühlte sich völlig anders an. Die Medikamente schützten mich davor natürlich nicht. Der Anlass lag auf der Hand.

Verlauf
Mit der Zeit kamen zu den Antidepressiva ,Neuroleptika, Phasenprophylaktika, Benzodiazepine, Tranquillizer, Z-Drugs. Die letzten 3 habe ich glücklicherweise immer nur kurz genommen. Über Jahre schleppte ich mich zwischen Nebenwirkungen und, wie ich jetzt weiß, Absetzsymptome.

Beginn des Absetzens
2017/2018 fühlte ich mich das erste Mal so stabil, dass für mich Absetzen infrage kam. Da war ich dank eines Psychiaterwechsels Phasenprophylaktika und Neuroleptika los. Dann Absetzen von 10 mg Fluoxetin, was ich mit Mirtazapin zusammen nahm. Für meine Psychiaterin setze ich das viel zu langsam ab. Gut 3 Monate für 10mg war für mich der absolute Kaltentzug. 2 Monate nach 0 ließ ich mich mit absoluter Insomnolenz, Brain Zaps, optischen Halluzinationen , Krämpfen... ins Krankenhaus einweisen.
Für den Oberarzt war klar, dass es das SSRI Absetzsyndrom war. Leider wurde er krank. Der Stationsarzt glaubte nicht dran, nur ein Vertretungsarzt. Ich ließ mich entlassen. Eine neue Psychiaterin stellte mich auf Opipramol ein mit dem Ziel erst stabilisieren, dann absetzen.

Absetzen 2. Versuch
Glücklicherweise fand ich während des Absetzens das Vorgängerforum.
Ich hatte 3 Medikamente abzusetzen. Mirtazapin, Agomelatin und Opipramol.
Mirtazapin musste ich wegen starker Nebenwirkungen sehr schnell absetzen. Ich weiß nicht, ob es Segen oder Fluch war. Einerseits war es viel zu schnell, andererseits stellten sich im Nachhinein viele körperliche Probleme als Nebenwirkungen des Mirtazapin heraus. Das Opipramol ging ich dann deutlich langsamer an. Musste aber auch bis zu einer gewissen Grenze wegen Nebenwirkungen immer wieder einen Spurt einlegen und auch relativ zu Anfang wegen meiner Leber noch Agomelatin kalt absetzen.

Methoden
Mirtazapin: Feinwaage linear
Opipramol: hyperbolisch
Feinwaage prozentual alle paar Wochen
Tropfen prozentual
Flüssigpräparatmethode
Feinwaage Microtapering mit großen Absetzpausen im Sommer

Microtapering hat sich als Mittel meiner Wahl herausgestellt. Im Verhältnis deutlich weniger als 10% alle 4 Wochen

Absetzverlauf
Wenn ich zu schnell war stellte sich der Honeymooneffekt ein.
Gefühlt hatte ich alles psychischen und physischen Absetzsymptome.
Mal hatte ich ein Wellen-Fenstermuster. Über viele Jahre kannte ich so etwas nicht. Das schien je nach Medikament und Absetzmethode unterschiedlich zu sein. Außerdem überlagerten sich die vielen Entzüge.
Zwischendurch musste ich Medikamente gegen Bluthochdruck einnehmen und hattte starke Herzrhythmusstörungen. Ich hatte mich lange dagegen gewehrt. Im Endeffekt war es eine Erleichterung. Meine Ärztin nahm aber nicht den für die Einstellung optimalen Bereich, sondern den ersten tolerierbaren Bereich. Sobald der Blutdruck sank, schlichen wir aus.

Ich war über lange Zeit bettlägrig. Lange Zeit hat eine Freundin auf mich wie auf ein krankes Pferd eingeredet und für mich die Hoffnung übernommen, dass es besser wird.
Ich hatte aber auch Zeiten in denen ich Teilzeit gearbeitet und studiert hatte und das Absetzen nach Zeitplan verlief. Das System brach mit einer weiteren familiären und körperlichen Belastung zusammen. Ich beschloss Studium und meinen Job, bei dem die Fixtermine zwar wenig waren, aber 3 Jahre im Voraus feststanden, aufzugeben und mich auf das Absetzen zu konzentrieren. Nebenher machte ich Therapie.

Die Skills mit den jeweiligen Absetzsymptomen wurden immer wieder angepasst. Über lange Zeit war noch so leichter ein no go. In der letzten Phase rettete mich regelmäßiger moderater Sport.
Meditation ging in Unruhephasen gar nicht. Im Bett war es das Einzige, was ich machen konnte. Manchmal konnte ich mir aber nur den Satz "Ich Heile" in Dauerschleife sagen.

Nahrungsergänzungsmittel
Mit Magnesium und Vitamin D habe ich zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Verträglichkeit gehabt. Vitamin B egal ob einzeln oder komplex ging trotz Mangel nicht.

2 Diagnosen als push und Hemmnis im Absetzverlauf

Sorbit- und Fructoseintoleranz
Mit der Diät stellte sich heraus, dass manche psychischen Einbrüche weder Absetzsymptome noch die Grunderkrankung waren. Zudem fielen die Dauerganzkörperschmerzen weg. Der Abbau des Zuckers und Sorbits bzw die Folgen davon dauerten 1 Jahr und waren körperlich so anstrengend, dass kaum an Reduktion zu denken war.
Kurz vor Ende des Absetzens die ADHS Diagnose. Eigentlich waren noch 3 Jahre Microtapering vorgesehen. Die Diagnose erklärte das rasche Fortschreiten bzw unerklärliche Auftreten von 2 Krankheiten. Deshalb ließ ich mich auf Stimulanzien ein. Ich muss betonen, dass mich niemand dazu drängte. Es wurde mir lediglich die Möglichkeit mit möglichen Nebenwirkungen gesagt und alle Zeit zur Entscheidung gelassen. Nach 10 Wochen intensiver Recherche in alle Richtungen und Rücksprache mit meinen anderen Fachärztinnen versuchte ich es. Nach 3 Stimulanzien ist der Versuch gescheitert.
Der Versuch hatte zwei positive Folgen. Für das erste Medikament musste ich mit dem Opipramol relativ schnell relativ weit runter. Das ging mit dem MPH deutlich, deutlich besser als die Zeiten davor. Für das zweite Medikament musste ich es ganz absetzen. Das ging auch mit tolerierbaren Absetzsymptomen. So habe ich statt 3 Jahren für den letzten Rest Opipramol ein paar Wochen gebraucht.
Von dem Erleben wie ich unter Stimulanzien handle, konnte ich einige Verhaltensweisen als Skills in den Alltag retten, so dass ich mir ein paar Routinen mit flankierenden Maßnahmen aufbauen konnte. Gelobt sei das body doubling.

Was sich gebessert hat:
- Blutwerte inzwischen im Normbereich
- entzugsbedingter Brainfog weg
- entzugsbedingte Insomnolenz weg
- Alle reversiblen Nebenwirkungen weg
- entzugsbedingte Sehstörungen weg
- Denken klappt viel besser
- entzugsbedingte Schmerzen weg
- emotionale Schwankungsbreite geringer
- viel mehr Antrieb
- Denke überhaupt nicht mehr an Absetzen und Absetzsymptome

- Ich kann wieder Medikamente, wie hochdosiertes Cortison und Antihistaminika in eine Kurzzeittherapie problemlos einnehmen.
- Auch ein paar B Vitamine vertrage ich wieder. Sie müssen aber niedrig dosiert sein und nicht täglich.
- Meine Haut ist viel besser geworden.
- Auch vertrage ich wieder Alkohol. Mir schmeckt es aber gar nicht mehr.
- Seitdem ich beim Opipramol unter 100 mg bin habe ich keine weiteren Schäden an den Zähnen mehr. Die ganze PP Einnahmezeit war ich Dauergast beim Zahnarzt.

Ihr Lieben,Team und Foris, ohne Eures breites Erfahrungswissen und ohne Eure Unterstützung hätte ich es nicht geschafft. Ein großer Dank dafür.

Liebe Absetzende, vor allem, die ihr mehrere Medikamente absetzt,
Absetzen mit schlechten Randbedingungen, lange Einnahmezeit, viele plötzliche Wechsel, Polymedikation bei einem hochsensiblen Nervensystem, somatischen Krankheiten und familiär instabiler Lage ist möglich.
Auch nach gefühltem jahrelangem Stillstand ging es bei mir dann doch immer wieder ein Stück weiter.
Einige Dinge hatte ich zu lange auf Absetzsymptome geschoben. Glücklicherweise habe ich mich dem Gleichgewicht zwischen "Ach, das sind Absetzsymptome" und "ich gehe mal zum Arzt und lasse es abklären" genähert. So fielen einige Symptome auf die Wechseljahre.

Zu Beginn war mein größter Wunsch auf 0 zu kommen. Am Ende ging es mir um ein zufriedenes Leben. Manchmal macht das Leben nochmal einen Umweg zur 0.
Findet Euren eigenen Weg und Eure eigenen Ziele, die zur Eurem Leben passen. Ihr habt ihr einen so großen Erfahrungsschatz, Informationen, Skills für die unterschiedlichen Absetzwege und Phasen. Es ist an Euch sie nach Euren Bedürfnissen zu nutzen.
Ich wünsche Euch einen sanften Absetzweg, einen Weg zu Euch selbst und zu Eurem Ziel wie auch immer es definiert ist.
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loewe55, Fermin, Bittchen
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