Erfahrungsbericht Bittchen: Antidepressiva (u.a. Escitalopram) nach Langzeiteinnahme abgesetzt

Berichte von Betroffenen, die bereits Antidepressiva, Benzodiazepine, Neuroleptika (Antipsychotika) oder Phasenprophylaktika abgesetzt haben
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Erfahrungsbericht Bittchen: Antidepressiva (u.a. Escitalopram) nach Langzeiteinnahme abgesetzt

Bittchen hatte als junge Frau tragische Erlebnisse und Verluste zu verkraften. Nach der Geburt eines ihrer Kinder bekam sie die Diagnose "Postpartale Depression". Diese wurde später in "rezidivierende Depression" geändert. Es folgten über 30 Jahre Einnahme einer ganzen Reihe an Antidepressiva, häufigen Wechseln, Kaltentzügen. Langfristig geholfen haben sie ihr nicht. Zuletzt hatte sie Escitalopram abgesetzt. Heute ist sie sehr froh darüber ein Leben ohne Antidepressiva zu führen.

Hallo ihr Lieben alle, liebes PsyAb Team,

heute möchte ich meinen endgültigen Erfahrungsbericht schreiben.
Es wurde ja schon ein Bericht von mir geschrieben, 8 Monate nach Null.
Damals hatte ich das erste Fenster, darum ist der irreführend.
Damals unterlag ich dem Irrtum, der Entzug wäre vorbei.

Bei mir wurden die Depressionen durch die vielen verschiedenen Antidepressiva chronisch.
Mit den Jahren kamen die depressiven Phasen immer öfter und wurden schlimmer!
Die Gründe/ Ursachen sind ja sehr unterschiedlich, warum Psychopharmaka verschrieben und eingenommen werden.
Bei mir war es am Anfang die Diagnose rezidivierende Depressionen.

Immer nur kann ich meinen Weg beschreiben.
Mein erster Beitrag hier in meinem Thread beschreibt die Ursachen, durch die ich in die Abhängigkeit von Psychopharmaka geraten bin..
Bei mir hätte es damals gelangt mit Ruhe, Geduld und empathischer Therapie.
aus der Krise wieder raus zu kommen.
Dass ich in die unsägliche Behandlung mit so vielen verschiedenen Antidepressiva geraten bin, das kann ich heute nicht mehr ändern.
Den Groll darüber habe ich aus meinem Herzen genommen.

30 Jahre habe ich damit verbracht, kalt abzusetzen, die Antidepressiva zu wechseln, oft ambulant, auch war ich 2 x lange in der Akutklinik.
Meine Erfahrungen in der sehr modernen Akutklinik, war damals gut.
Es ist 20 Jahre her.
Wegen der da stattfindenden körperlichen Therapien, den empathischen Gesprächstherapien und auch wegen der Mitpatienten, sehe ich dabei auch was Positives .
Diese Auszeiten haben mir damals evtl. sogar das Leben gerettet?

Leider waren da immer Psychopharmaka im Spiel, die mir ja nie langfristig geholfen haben.
Auch eine lange psychosomatischen Reha brachte keine Heilung, obwohl mir die Zeit da auch gut tat.
In der Reha habe ich auch weiterhin Psychopharmaka eingenommen, ich wüsste ja nicht wie es ohne wäre, so auch die Aussage des dortigen Psychiaters?

Die psychosomatische Reha war gut 1 Jahr vor meinem Psychopharmaka Entzug, ich hatte ein Jahr vor der Reha das Rauchen gelassen.
Der Nikotinentzug stürzte mich in eine noch schwerere Depression.
Auch das konnte laut Ärzte auch nicht sein.
Angeblich ist ja das Rauchen aufzuhören ganz einfach. :D
Da frage ich mich auch, warum es noch rauchende Ärzte gibt?

Es ging mir dann immer Mal zwischendurch besser .
Wenn ich durch die Einnahme der Psychopharmaka hypomanisch wurde, ging es mir gefühlt richtig gut.
Der Absturz danach war aber umso schlimmer.

Bei den vielen Antidepressiva, die ich genommen habe, weiß ich leider die Reihenfolge nicht mehr.
GsD immer nur einen Wirkstoff.
Denn ich sehe es als großes Glück an, dass ich Benzodiazepine, Lithium, Neuroleptika verweigern konnte.

Als vor 8 1/2 Jahren die Nebenwirkungen immer stärker wurden (blutendes Magengeschwür, unruhige Beine, verkrustete Nase, trockener Mund, an das elende Schwitzen hatte ich mich schon gewöhnt ), entschloss ich mich endgültig abzusetzen.
Damals nahm ich 7 Jahre lang ununterbrochen 20 mg Escitalopram.
Gegen den Rat meines langjährigen ärztlichen Psychologen in der Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) fing ich an auszuschleichen.
Leider viel zu schnell.
Mein Arzt in der PIA wollte dass ich die letzten 5 mg beibehalte. Wollte ich aber nicht.

Damals war ich 67 Jahr alt und mir ging es wieder Mal sehr schlecht.
Durch das Lesen des Buches "Unglück auf Rezept" ging mir vorher schon ein Licht auf.
Endlich glaubte ich den Psychiatern nichts mehr.

Innerhalb von 2 Monaten bin ich von 20 mg Escitalopram runter, mit wöchentlicher 5 mg Reduktion, bis auf 5 mg .
Die letzten 5 mg habe ich mit Tropfen ausgeschlichen, 5 Wochen lang immer einen Tropfen weniger.
Die Tropfen verschrieb mir damals mein Hausarzt.

In den ersten Wochen ging es mir nach dem Absetzen der Psychopharmaka "ganz gut", das kannte ich ja schon!
Aber nach ein paar Wochen ging die Hölle los.
In der Regel bin ich, wenn ich vorher kalt abgesetzt hatte, in die PIA gefahren und habe wieder ein Antidepressivum genommen.
Die wirkten aber schon lange nicht mehr!
Dieses Mal zog ich es durch.
Mir ging es grottenschlecht, aber ich war nicht alleine mit den Symptomen, mein Mann unterstützte mich.
Er hat in dieser Zeit auch viel mitgemacht.
Aggressionen, Gefühllosigkeit, Ängste, waren nur die Hauptsymptome.

Ob ich es alleine geschafft hätte durchzuhalten, ohne wieder was zu nehmen,
das kann ich nicht beurteilen?
Doch ich wollte das Zeug unbedingt los werden.

Nach ein paar Monaten fand ich das Forum ADFD.
Da erst wurde mir richtig klar, was mit mir los war.
Meine einzelnen Symptome damals kann ich nicht mehr genau beschreiben, aber ich hatte die schlimmsten Depressionen, mit allen physischen und psychischen Symptomen, die ich je erlebt hatte.
Ich wollte nicht sterben, aber so auch nicht weiter leben. :)

Mit den Jahren wurde es besser.
Die Fenster wurden länger, die Wellen wurden leichter und erträglicher.
Nach dem ersten Jahren nach Null, hatte ich einige große Herausforderungen zu bewältigen.
Erbschleicherei durch den Bruder meines Mannes, unser Hausdach brannte ab.
Wir wohnten sehr lange in zwei Zimmern, weil der Rest des Hauses entkernt und nur noch Baustelle war.
Der Schimmel durch das Löschwasser machte das nötig, die Trockengeräte liefen viele Wochen..
Unsere Sachen waren ausgelagert usw.
Diese 2 Jahre konnte ich mit der Hilfe meines Mannes und meinen Töchtern, aber noch in tiefer Depression, irgendwie durchstehen.

Heute geht es mir, auch nach 8 Jahre nach Null, nicht immer gut, aber sehr viel besser.
Wir wohnen seit 2 Monaten in einer altersgerechten Wohnung und fühlen uns wohl hier.
Antriebslosigkeit, verschiedene Schmerzen machen mir zu schaffen.
Oft weiß ich es nicht einzuordnen, ist es das Alter oder sind es die Spätschäden?
Denn ich habe seit dem Entzug Polyneuropathie, Arthrose, Osteoporose .
Die Schmerzen machen mir beim Laufen und bei sonstigen Bewegungen zu schaffen.
Die Schlafstörungen haben sich trotzdem mittlerweile gebessert, momentan schlafe ich oft 6-7 Stunden, auch wenn ich öfter wach werde.

Wenn ich damals bei den Ärzten erwähnte, dass mir der Entzug so zu schaffen machte, dann sollte ich auf mein Geburtsdatum schauen.
Die Psychiater streiten den Zusammenhang mit den Pschopharmaka sowieso ab. :x
Andere Fachärzte sind da offener, aber
"Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."


Weil unser Einkommen jetzt gesichert ist, mein Mann und ich nicht mehr arbeiten müssen, trägt auch das dazu bei, dass es mir besser geht.
Da möchte ich mit den jüngerem Betroffenen hier nicht vergleichen.
Leider weiß ich aus der Vergangenheit auch, wie negativ sich finanzielle Unsicherheit auswirkt.

Was mir wichtig ist,
"Es ist nie zu früh und selten zu spät, was zu ändern."

Heute bin ich 75 Jahre und lebe wieder gerne.
Als mein Weg ohne Psychopharmaka begann, war ich gerade 67 Jahre alt geworden.
Ob ich heute noch leben würde, hätte ich nicht stopp gesagt und Escitalopram abgesetzt, das steht in den Sternen?
Es hat sich für mich gelohnt, diesen schweren und langen Weg nach Null auszuhalten.
Seit gut 7 Jahren hat mich kein Psychiater oder Therapeut mehr gesehen.

In meiner Patientenverfügung steht, dass ich keine Psychopharmaka mehr nehmen will.
Da kann ich nur hoffen, dass dies von den Ärzten respektiert wird .
Denn auch bei Demenz haben Psychopharmaka genau solche Nebenwirkungen auch.
Die Ängste, an irgendeiner psychischen Beeinträchtigung irgendwann zu leiden,
werden ja im Alter nicht besser.

Die vergangene schwere Zeit durchzustehen,
dabei hat mir der Austausch in den beiden Foren, ADFD und PsyAb, sehr geholfen.
:group:
Vielen Dank an alle, die früher da waren und es heute noch sind..
Ich will weiter hoffen, noch viele gute Momente erleben zu dürfen.
Das wünsche ich euch auch von ganzem Herzen.

Liebe Grüße
Bittchen
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Hirnsausen, Aquila65, Sonne, Chris76, Vidy
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