Erfahrungsbericht Leni: Absetzsyndrom nach Kurzzeiteinnahme Johanniskraut

Berichte von Betroffenen, die bereits Antidepressiva, Benzodiazepine, Neuroleptika (Antipsychotika) oder Phasenprophylaktika abgesetzt haben
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Erfahrungsbericht Leni: Absetzsyndrom nach Kurzzeiteinnahme Johanniskraut

Leni hatte nach einer zweiwöchigen Einnahme von Johanniskraut (Laif) heftige Entzugssymptome entwickelt. Sie dosierte es mehrfach wieder ein und versuchte wieder abzusetzen. Schließlich schlich sie es über 3 Monate hinweg aus. Insgesamt litt sie zwei Jahre lang an einen Entzugssyndrom.
Nachfolgend ihr Erfahrungsbericht, den wir mit ihrer freundlichen Erlaubnis hier einstellen:



Wie alles anfing:
Im März 2022 habe ich aufgrund von innerer Unruhe das rezeptfreie Medikament Laif900 (Johanniskraut) genommen. Ich habe sehr schnell bemerkt, dass das Medikament irgendwas mit meinem Kopf macht und mir nicht bekommt. Ich hatte starke Kopf- und Nackenschmerzen und fühlte mich irgendwie benommen. Aufgrund der Nebenwirkungen habe ich das Medikament nach ca. 2 Wochen wieder abgesetzt. Es ging mir dann ein paar Tage besser, nur um mir danach plötzlich so schlecht zu gehen wie nie zuvor. Ich konnte mich nicht konzentrieren, hatte Wahrnehmungsstörungen und fühlte mich als würde ich den Verstand verlieren. Aus Verzweiflung habe ich das Medikament dann wieder genommen, da es damit ja scheinbar besser war und wie durch Zauberhand waren die Symptome verschwunden. Dafür habe ich dann wieder die Kopfschmerzen bekommen, die nach einigen Tagen oder Wochen auch nicht mehr auszuhalten waren. Es entwickelte sich ein Teufelskreis, in dem ich das Medikament mehrfach absetzte und wieder einnahm. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass das was ich da erlebe keine normale psychische Erkrankung sein kann, hatte aber auch keine Erklärung für das was da passiert. Nach ein paar Wochen hatte ich genug davon, setzte das Medikament wieder ab und sagte mir ich muss das jetzt einfach aushalten. Das endete 1 oder 2 Wochen später mit Brainzaps, sehr beängstigenden Gedanken und einer Vorstellung in der Notaufnahme einer psychiatrischen Klinik. Dort wurde mir eine Angststörung diagnostiziert und ein Rezept für Antidepressiva mitgegeben, das ich zum Glück nie eingelöst habe. Aus Verzweiflung habe ich abends zur Überbrückung nochmal eine Laif900 genommen und am nächsten Tag waren die Symptome wieder verschwunden. In dem Moment habe ich realisiert, dass da etwas überhaupt nicht stimmen kann. Ich habe angefangen zu googlen und bin glücklicherweise auf den Begriff SSRI Entzug gestoßen. Da waren plötzlich sämtliche Symptome aufgeführt, die ich erlebt hatte. Ich bin dann auf das Forum surviving antidepressants gestoßen und habe dort tatsächlich ein oder zwei Geschichten von Menschen gefunden, die durch Johanniskraut ein Absetzsyndrom erlitten haben.

Das Absetzen
Ich habe dann versucht die Tabletten langsam auszuschleichen. Dazu habe ich die Tabletten zerschnitten und immer kleinere Teile davon genommen. Das hat natürlich nicht besonders gut funktioniert. Bei jedem Reduktionsschritt hatte ich extreme Entzugssymptome. Das reichte von dem Gefühl wahnsinnig zu werden bis zum Kontrollverlust über meine Blase. Irgendwie habe ich es geschafft in der Zeit trotzdem weiter am Leben teilzunehmen und bin in der Zeit sogar den Jakobsweg gelaufen. Rückblickend kann ich mir nicht mehr erklären, wie das überhaupt noch möglich war.

Absetzen auf 0
Das Ausschleichen hat insgesamt etwa drei Monate gedauert. Den letzten Rest der Tabletten habe ich dann nach dem Jakobsweg weggelassen, weil ich diese Scheiße einfach aus meinem Körper raushaben wollte. Ich dachte vielleicht habe ich dann noch ein paar Wochen Entzugserscheinungen, aber wieviel schlimmer sollte das schon noch werden? Aus ein paar Wochen wurden letztendlich über zwei Jahre, in denen ich unter teilweise extremen Entzugserscheinungen litt. Ich konnte keine Geräusche oder Licht mehr ertragen, hatte Schwierigkeiten einzukaufen und ständig das Gefühl verrückt zu werden. Im Verlauf der zwei Jahre hatte ich diverse Symptome, die ich dem Entzug zuschreiben würde und die ich gar nicht mehr alle zusammen bekomme. Mit der Zeit hat sich ein typischer Verlauf aus Wellen und Fenstern eingestellt. Nach einem Jahr hatte ich das Gefühl das Schlimmste überstanden zu haben, nur um dann nochmal richtig umgehauen zu werden. Ungefähr zu der Zeit habe ich mich auch hier im Forum angemeldet.

Wie geht es mir heute?
Seit etwa 2 Jahren nach 0 (also seit ca. 5 Monaten) geht es mir deutlich besser. Ich habe ab und an noch Symptome, die ich dem Entzug zuschreiben würde. An vielen Tagen denke ich aber überhaupt nicht mehr daran. Bei mir wurde letztes Jahr Endometriose diagnostiziert und ich wurde zwei Mal deswegen operiert. Ich habe die ganz vage Vermutung, dass die Endometriose vielleicht durch den Entzug ausgelöst wurde, da ich bis dato tatsächlich nie Probleme in die Richtung hatte. Das ist aber nur eine Spekulation. Aktuell nehme ich zur Behandlung der Endometriose die Pille und lasse mich auch mit TCM behandeln. Beides vertrage ich gut. Ich habe aber immer noch das Gefühl, dass der Entzug hormonell irgendwas in meinem Körper durcheinander gebracht hat. Ich werde dem zeitnah nochmal auf den Grund gehen und mich bei einem Heilpraktiker o.ä. mal komplett auf den Kopf stellen lassen. Ich bin guter Dinge, dass ich auch das in den Griff kriegen werde und sehe der Zukunft positiv entgegen. Ich weiß jetzt, dass innere Unruhe keine Depression ist und dass ich damals definitiv keine Antidepressiva benötigt hätte. Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, dass mir das alles passiert ist und dass mein Körper in der Lage war sich davon wieder zu erholen. Am Ende war tatsächlich Zeit das einzige, das mir wirklich geholfen hat. Ich konnte es in den anderen Erfolgsgeschichten immer nicht glauben, aber unser Nervensystem ist wirklich ein Wunder ♥️

Ich wünsche euch wirklich nur das Beste und vor allem Gesundheit und ich werde mich nochmal melden, falls es ein relevantes Update zu meinem Zustand geben sollte.

Liebe Grüße
Leni
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Aquila65
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