Dieser Genesungsbericht stammt von einer Teilnehmerin, den diese im Forum adfd.org veröffentlicht hat.
Mit ihrer freundlichen Erlaubnis, stellen wir ihn euch auch hier zur Verfügung:
Meine Geschichte mit Paroxetin und Escitalopram (SSRI)
Da ich zum Glück über die Jahre einiges im Kalender mitprotokolliert habe, kann ich meine Geschichte von fast 10 Jahren Dauer bis dato recht detailliert wiedergeben.
Als ich 2008 mit Anfang zwanzig plötzlich Panikattacken bekam (und nachdem ich identifizieren konnte, was das war), ging ich Hilfe suchend zum Hausarzt. Er verschrieb mir Paroxetin 10mg. Er legte mir auch eine Gesprächstherapie nahe. Hier in Österreich kommt es fast nie dazu, dass man diese in irgendeiner Form bezahlt bekommt (fast nur, wenn man sich einweisen lässt). Ich hatte damals und in Folge wegen der Krankheit sehr wenig Geld und konnte mir nur wenige der teuren Therapiestunden leisten. Wäre das nicht der Fall gewesen, glaube ich mit der Erfahrung, die ich heute habe, ich hätte erstmal ohne Tabletten einige Monate eine gute Therapie machen sollen und wäre meine Probleme los gewesen. Leider kam es anders.
Erster Absetzversuch Paroxetin
2011 hatte ich das Gefühl, dass es mir wieder gut genug geht, dass ich auch ohne Tabletten leben kann. Ich hatte sehr stark mit den Nebenwirkungen zu kämpfen. Deshalb redete ich mit dem Hausarzt. Er sagte mir immerhin nicht, ich solle sie einfach weglassen, aber in 5mg-Schritten ausschleichen über 2-3 Wochen. Natürlich war das viel zu schnell. Sowohl beim Reduzierprozess als auch direkt danach ging es mir übel. Ich verpasste ein halbes Jahr lang die Uni. Ich bekam das erste Mal diese „brain zaps“ (ich selbst nannte sie „Blitze im Kopf“), bei denen ich mir auch als einziges Symptom sicher war, dass sie vom Absetzen kamen. Ich dachte aber, das gebe sich nach 1-2 Wochen wieder, hielt also tapfer durch. Doch es wurde immer schlimmer. Neben all den körperlichen Symptomen, wegen denen ich ständig dachte, ich sei krank und wegen denen ich unfassbare Schmerzen aushalten musste, traten starke Angstzustände auf. Mir war wochenlang so stark schwindlig, dass ich nur liegen konnte, ich schaffte es nur auf allen vieren auf die Toilette! Wie lebenswert ist das denn bitte??
Eines Nachts war es so extrem, dass ich schrie, man solle die Rettung rufen, ich hatte starken Schüttelfrost, weil die Angstzustände so stark waren und übergab mich schließlich in den Papierkorb neben dem Bett. Schließlich trank ich eine halbe Medikamentenflasche pflanzliches Beruhigungsmittel aus. Heute, wenn ich eure Geschichten lese, bin ich froh, dass mein Mann nicht die Rettung gerufen hat, dann wäre mein Weg in die Psychiatrie wohl geebnet gewesen.
Nach diesem Erlebnis, ohne jegliches Wissen von länger andauerndem Entzug (ich hatte ca. 3 Monate paroxetinfrei gelebt) und wegen der starken Angst war ich sicher, dass ich einfach noch nicht gesund sei, im Gegenteil sogar schlimmer psychisch krank als je zuvor. Ich begann also wieder, Paroxetin einzunehmen. Das Interessante aus heutiger Sicht ist, dass meine Symptome fast alle nach dem 2. Einnahmetag verschwanden! Was meinen Eindruck, „krank“ zu sein und das Medikament zu brauchen, bestätigte. Heute weiß ich, dass so eine schnelle Besserung nur der Abhängigkeit und dem Entzug zuzuordnen ist. Eine Besserung einer "Krankheit" würde nämlich erst nach Wochen eintreten.
Zweiter Absetzversuch Paroxetin
In der Zwischenzeit hatte ich eine andere, für mich bessere Gesprächstherapeutin gefunden und vieles aufgearbeitet. 2013 fühlte ich mich also stark genug, um den zweiten Absetzversuch zu starten, da ich nach wie vor unter den Nebenwirkungen litt. Diesmal versuchte ich allen möglichen Ärzten und der Therapeutin die Info zu entlocken, wie man das am besten macht. Keiner konnte es mir sagen. Ich setzte also in 5mg-Schritten ab. Es stellten sich sofort, schon beim Absetzen, dieselben Symptome ein wie damals. Es war nicht auszuhalten, mein komplettes Leben kam wieder zum Erliegen. Diesmal wartete ich keine 3 Monate ab, sondern akzeptierte das Übel, dass ich wohl einfach zu krank sei, und nahm Paroxetin wieder ein. Mit den 10 mg war es diesmal aber nicht mehr getan, erst auf 20 mg endeten die Symptome diesmal. Was natürlich die Nebenwirkungen umso stärker machte, besonders die Tagesmüdigkeit.
Dritter Reduzierungsversuch Paroxetin
Wegen den Nebenwirkungen versuchte ich im April 2014 noch einmal, von den Tabletten wegzukommen, und reduzierte auf 10 mg, um eine Weile darauf zu bleiben. Sofort kam die Quittung: starke Magen/Darmprobleme (bis hin zu einer vermuteten Gallenkolik und Ultraschalluntersuchung, Magenröntgen), starke Angst, Panikattacken, labile Psyche, starke körperliche Symptome. Bis auf die Magenschmerzen „kannte“ ich die Symptome ja schon und wusste nun, dass das an den Tabletten lag. Aber ich konnte die ja nicht ewig schlucken!
Ich blieb also bei den 10 mg. Keiner, bei dem ich Hilfe und Info suchte, fühlte sich zuständig, mich über die Einnahme und v.a. die Reduzierung von SSRI überhaupt aufzuklären. Man wird in den „Pillenflug“ eingecheckt, aber nicht mehr ausgecheckt. Man wird einfach allein gelassen.
Ende 2014 reduzierte ich dann auf 5 mg. Warum, das weiß ich nicht mehr genau. Anscheinend hatten die Symptome sich etwas gebessert, aber ich hatte einfach auch den so großen Wunsch, von den Tabletten wegzukommen. Das hing im Übrigen auch mit einem zukünftigen Kinderwunsch zusammen.
Wieder bekam ich Symptome, die mein Leben zum Erliegen brachten (ohne meinen Mann wäre ich wirtschaftlich schon längst ruiniert gewesen und auf der Straße gelandet, da bin ich mir sicher). Der Schwindel war so stark, dass ich nicht gehen oder stehen konnte und mich auch nicht mehr orientieren konnte, ich war benommen ohne Ende und fühlte mich wie in einem Film (Derealisation würde man das wohl nennen), hatte ständig mit starken Angstgefühlen und Herzrasen zu kämpfen, konnte kein Licht mehr aushalten, nicht mal einen Handybildschirm oder eine einzelne Lampe, war (vermutlich auch einfach wegen diesem Zustand) depressiv (was ich vorher NIE war!) und lag nur noch am Sofa. Wobei mit der Zeit auch einige „Fenster“ kamen, in denen es mir einen Tag besser ging. Doch als sich mit den Monaten nicht viel änderte, und ohne Hilfe, Verständnis oder Info von irgendeiner Seite, gab ich auf. Ich hatte keinen Grund zur Hoffnung. Ich war überzeugt, dass ich ein schwerer Fall bin, dass ich sehr krank bin, aber außer Tabletten keine Hilfe bekomme – also nahm ich wieder Tabletten. Paroxetin 10 mg wirkte diesmal gar nicht. Ich dosierte also bis auf 20 mg auf. Doch auch das wirkte kaum, und mit dem Aufdosieren wurden die Symptome immer erstmal schlimmer. Ich schleppte mich mit letzter Kraft zum Hausarzt. Ich wollte tatsächlich nur noch sterben, mir war alles egal.
Mein erstes Mal beim Psychiater
Zu der Zeit hatte ich einen neuen Hausarzt gefunden, der mir zuhörte und nicht sofort mit Tablettenschachteln nach mir warf. Er fragte mich, ob ich jemals beim Facharzt vorstellig gewesen sei, also beim Psychiater/Neurologen. Ich verneinte. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass der für diese Medikamente zuständig war (solange man nicht in der Psychiatrie war). Der Hausarzt überwies mich sofort.
Es war nicht leicht, einen Termin zu bekommen. Die meisten Psychiater nahmen tatsächlich keine Patienten auf, auch nicht, wenn man wie ich schilderte, dass es ein absoluter Notfall war. Das prallte an den Telefonfräuleins ab. Ich war zu diesem Zeitpunkt so fertig mit der Welt, dass ich mir vorstellte, dass ich mich umbringen und einen Abschiedsbrief hinterlassen würde, in dem ich genau schilderte, wie man einem schwer psychisch kranken Menschen in unserem System nicht willig ist zu helfen. Das war wirklich eine Erfahrung und Erkenntnis, die mich bis heute tief zerstört hat. Die sich aber leider nochmal wiederholt hat.
Irgendwann bekam ich dann einen Termin in 3 Monaten (was sind schon 3 Monate, wenn man täglich denkt, man stirbt…). Die Psychiaterin hörte mir zu, und der Fall schien klar zu sein: Tabletten, aber andere. Dann sei alles gut. Paroxetin schien wegen der Länge der Einnahme bei mir nicht mehr zu greifen, meinte sie.
Ich muss ihr zugutehalten, dass sie wohl schon von den Problemen mit Paroxetin gehört hatte, denn sie meinte, ich bräuchte unbedingt ein sanfteres Medikament, bei dem es auch nicht so viele Nebenwirkungen gibt, und verschrieb mir Escitalopram.
Auf meine Frage, wie ich wechseln sollte, sagte sie, ich solle direkt wechseln, also von 20 mg Paroxetin am einen Tag auf 5 mg Escitalopram am nächsten Tag. Und dann auf 10 mg steigern, wenn ich merken sollte, dass es nicht reicht.
Fliegender, ärztlich initiierter Wechsel von Paroxetin zu Escitalopram
Praktisch dritter Absetzversuch von Paroxetin
Dezember 2015: Es kam, wie es kommen musste und wie ich es auch schon vorausgesehen hatte: Ich bekam meine schon bekannten starken Entzugserscheinungen. Ich wusste, ich musste das durchhalten. Inzwischen hatte ich mich von allen Freunden und Bekannten wegen der ganzen Geschichte dermaßen isoliert, dass außer meinem Mann keiner wusste, dass ich nur mehr flachlag und tausend Tode starb. Dennoch schaffte ich es, von Paroxetin wegzukommen. Heute weiß ich, wie schwer das ist und dass es viele nicht oder nur sehr schwer und mit großem Leiden schaffen.
Mit den Wochen wurde es ein wenig besser, ich nahm inzwischen Escitalopram ein. Doch gut ging es mir nicht. Ich behielt einige Symptome und eine hohe innere Anspannung zurück. Deshalb wurde das Escitalopram im März 2016 von der Psychiaterin hochdosiert auf 15 mg und, wenn das nicht reiche, auf 20 mg. Ich habe das irgendwie nicht geschnallt und bin gleich auf 20 mg gegangen … ich war einfach nur mehr verwirrt im Kopf. Ich bekam (was glaube ich nicht sehr verbreitet ist?) auch Symptome vom Hochdosieren. Nachdem diese verschwunden waren, ging es mir das erste Mal wieder gut, ich war nicht mehr angespannt und konnte wieder vieles machen. Doch andererseits merkte ich, dass ich von meinen Gefühlen abgekoppelt war, dass alles gedämpft war. Ich war in Situationen, wo mein Verstand mir sagte: „So ein schöner Augenblick, genieße ihn, freue dich!“ Und ich konnte das nicht empfinden. Gerade Freude und Zufriedenheit konnte ich einfach nicht mehr fühlen, bei aller Anstrengung. Das machte das Leben auch nicht gerade lebenswert! Es war wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
Zudem war da wieder mein starker Wunsch, nicht ewig unter Tabletten zu stehen. Auch wieder wegen des Kinderwunsches… die Psychiaterin versicherte mir zwar mehrmals, das ginge auch auf einer geringen Dosis Escitalopram, aber nach meinen Erfahrungen mit Entzug und da ich selbst beim Hochdosieren von Escitalopram die Auswirkungen so krass gemerkt hatte, war ich mir sicher, dass ich das keinem unschuldigen Baby antun kann!
Inzwischen hatte ich eine Hypnosetherapeutin gefunden, zu der ich manchmal ging, die auch Forschungen betrieb. Sie hatte schon Erfahrungen mit Patienten gemacht, die abgesetzt haben und erzählte, dass man sehr viel langsamer absetzen muss, als man denkt, und dass man am Ende bis zu homöopathischen Dosierungen, also wirklich Krümelchen, gehen muss.
Da die Psychiaterin mir erstens nicht mehr als alle 6 Monate einmal einen Termin geben wollte (finde ich ziemlich fahrlässig, selbst die Nachfrage nach einem Nottermin wurde abgeschmettert) und auch sonst nicht erreichbar sein wollte, nahm ich die Sache selbst in die Hand (was mein Glück war).
Leider recherchierte ich nicht zum Absetzen im Internet – das hatte den Grund, dass meine Angststörung sehr stark mit Hypochondrie zusammenhängt und mich das Internet da immer sehr triggert – und machte das Krümelexperiment eher Pi mal Daumen. Gerade gegen Ende war das wohl nicht so gut.
Vierter Absetzversuch: Escitalopram
Ich setzte Escitalopram von 20-0 mg von März bis August 2017 in Eigenregie ab. Ich nahm mir für jeden Absetzschritt (die leider nach heutigem Wissen immer noch zu groß waren) mind. 4 Wochen Zeit. Doch ich merkte schon, wie ich immer labiler wurde. Dass gegen Ende die Mengen des Medikaments bei meiner Bröselmethode sehr variiert haben, wird im Nachhinein besonders klar. Denn gerade dort gab es bei mir ständige Aufs und Abs. Insgesamt ging es mir eigentlich nur mehr bescheiden. Aber ich wollte das durchziehen. Ich versuchte meinen Körper durch Entgiften und Vitamine zu unterstützen, was auch sicher ein wenig geholfen hat.
9. August 2017: Auf Null
Einen Tag feierte ich in dem Wissen: Es ist vorbei, ich bin die Tabletten los.
Doch am nächsten Tag merkte ich sofort die Auswirkungen. Trotz Ausschleichen kamen die „brain zaps“ in aller Härte, dazu Albträume, Schwindel, Lichtempfindlichkeit bzw. „überscharfes Sehen“, ich war beim geringsten Anlass in Tränen aufgelöst, mehrmals pro Tag, mir war ständig übel, ich war deprimiert, hatte Muskelschwächen vor allem in den Beinen… Was komplett neu war, war ein Gefühl in Speiseröhre oder Magen, als würde mich eine Hand am Hals würgen. Das Gefühl blieb fast 2 Monate.
Nach zwei Wochen wurde es etwas besser, und ich hatte ja auch damit gerechnet, dass ich einige Wochen etwas merken würde und mich sehr zurückgezogen. Aber nach ein paar guten Tagen ging es wieder los. Im September und Oktober kamen viele schlechte und wenige bessere Phasen und einige sehr starke Einbrüche, besonders bei Belastungen (Angstzustände über 3-6 Stunden durchgehend). Diese Belastungen konnten noch so gering sein, ein einfacher Termin bei der Arbeit oder mit einer Freundin. Ich konnte nicht mehr planen, nichts mehr zusagen, kaum mehr arbeiten, kaum die Wohnung verlassen. Einige Male war ich bei meiner Hypnosetherapeutin, die mir sagte, diese Symptome könnten laut ihrer Erfahrung schon ein paar Wochen bis Monate andauern. Aber es waren doch schon Monate bei mir!
Kompletter Zusammenbruch
Am 1. November kam der größte Zusammenbruch. Ich wurde gehetzt und gejagt von Angst, körperlichen Symptomen und einer abgrundtiefen Verzweiflung. Da ich nicht wusste und auch nicht glaubte, dass der Entzug so lange andauern kann, war ich hoffnungslos und überzeugt, krank ohne Aussicht auf Heilung zu sein. Da ich meinen Körper nicht beruhigen konnte, wurde ich panisch. Ich suchte im Internet nach Hilfe (es war Feiertag), fand nur die psychosoziale Krisenhotline, die aber auch erst am nächsten Tag offen hatte.
Am nächsten Tag rief ich dort an, schilderte meinen Zustand, mit dem supertollen Ergebnis, dass sie mir die Telefonnummer des nächsten Facharztes für Psychiatrie gaben… was bringt denn dann eine Krisenhotline? Ich rief also auch noch bei meiner Psychiaterin an und erklärte der Telefondame meinen Zustand. Ich sagte, dass ich bitte einen schnellen, kurzen Nottermin bräuchte, da ich die Medikation ja schlecht selber wieder bestimmen könne und die Ärztin das gerne beurteilen lassen würde. Wie immer bekam ich keinen Termin, mir wurde aber ein Rückruf der Ärztin versprochen. Kurz und gut, sie rief nicht im vereinbarten Zeitraum zurück, sondern ich am Ende des Tages nochmal an, und sie zeigte mir deutlich, dass sie keine Zeit für mich hatte, und fiel mir ins Wort. Sie sagte, was jeder AD-Patient zu hören bekommt: Ich hätte einen Rückfall, denn Entzug gäbe es nicht, ich solle bitte sofort wieder Escitalopram nehmen. Nachdem ich meinte, dass das so ja nie ein Ende hätte und ob ich das lebenslang nehmen müsste, sagte sie: „Wahrscheinlich. Es gibt einfach Menschen, denen geht es ganz ohne nicht gut.“
Das Finden der Wahrheit und der protrahierte Entzug
Ich war komplett fertig. Starrte die Tablettenschachtel an und wollte es nicht glauben. Ich schrieb dann mit einer Freundin, die von dem Entzug weiß und mich unterstützt, und fühlte mich danach wieder etwas stärker. Also recherchierte ich im Internet nach dem Medikament und meinen Symptomen beim Absetzen… und fand das ADFD-Forum. Ich las nur wenige Berichte, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Ich war die ganze Zeit verarscht worden. Und ich war die ganze Zeit hochgradig medikamentenabhängig gewesen. Es gab tausende solcher Fälle.
Meine Wut war unvorstellbar. Fast 10 Jahre meines Lebens waren verloren durch diesen Unsinn. Und wer weiß, wie viele Monate und Jahre mehr.
Doch ich hatte auch endlich wieder Hoffnung, fühlte mich nicht mehr als kranker Spezialfall und begriff, dass diese Symptome Zeichen dafür waren, dass mein schwer geschädigtes Gehirn heilt.
In den folgenden Tagen las ich viel im Forum. Ich wünschte, ich hätte es früher gefunden und richtig abgesetzt. Da ich schon über 12 Wochen auf null war, machte es laut Forum keinen Sinn mehr, eine geringe Menge einzudosieren, also akzeptierte ich es, wohl im protrahierten Entzug zu sein, samt all seiner körperlichen und psychischen Symptome, seiner Wellen und Fenster.
Ich hoffe, dass ich es irgendwann geschafft habe und wieder leben kann.
Momentan versuche ich, es anzunehmen und durchzustehen, positiv zu denken und mich zu schonen.
An schlechten Tagen lese ich ein, zwei Erfolgsberichte im Forum, dann geht es mir meistens besser. Leider ist das Monster des Entzugs, wie es hier viele nennen, ganz schön stark. Ich beginne immer wieder zu zweifeln. Doch kaum bin ich etwas klarer im Kopf, weiß ich wieder, was die Wahrheit ist.
Allerdings ist mein Unverständnis und meine Wut, dass wir das erleben müssen, dass diese Medikamente so schnell verschrieben werden, dass Entzugssymptome nicht anerkannt werden, so unfassbar groß. Ich weiß, dass ich mithelfen will, diese Ignoranz (der Pharma, der Ärzte) zu ändern, wenn ich kann. Daher habe ich mich hier angemeldet und steuere meinen Erfahrungsbericht – und meinen weiteren Verlauf – bei.
Und hoffe so sehr, wieder gesund zu werden.
Ich möchte hier noch eine Aufstellung der Symptome hinzufügen, die ich persönlich bei Reduzierung und Absetzen von Paroxetin bzw. Escitalopram hatte, teilweise sogar beim Aufdosieren.
Sie speist sich aus meinen persönlichen Aufzeichnungen, die aber nicht ganz vollständig sind. Manche Symptome habe ich nicht aufgeschrieben und danach wohl verdrängt. Daher erhebt die Aufstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt aber auf jeden Fall meine häufigsten und quälendsten Symptome.
Ich darf noch hinzufügen, dass ich in dieser Hinsicht kaum Unterschiede zwischen Paroxetin und Escitalopram bemerkt habe.
Brain zaps (Blitze im Kopf), Schwindel (teilweise bis zur Unfähigkeit zu stehen oder gehen und bis zur Orientierungslosigkeit), Panikattacken mit nachfolgenden stundenlang anhaltenden Angstzuständen, Herzrasen über Stunden ohne körperliche Betätigung, starke innere Getriebenheit, Unruhe, starke Lichtempfindlichkeit (v.a. bei künstlichem Licht => Sonnenbrille in der Wohnung…), Benommenheit, Müdigkeit (in Etappen so stark, dass mir die Augen zufallen), Erschöpfung, körperliches Schwächegefühl, kleine Ereignisse erschüttern mich komplett unangemessen (und führen wieder zu Symptomen), Nervenschmerzen/Brennen, Überempfindlichkeit der Haut, Muskelschmerzen und -krämpfe, Gefühl, ferngesteuert zu werden, Kälte-/Wärmeempfindungen am Körper ohne Grund, Magen-Darm-Probleme (Gastritissymptome!), Sodbrennen, Übelkeit mehrmals am Tag (besonders morgens), Wahrnehmungsstörungen, Derealisationsgefühl, Weinanfälle bzw. stark weinerlich, Depressionsgefühle (ohne je Depressionen gehabt zu haben), Kreislaufprobleme, Gesicht wird plötzlich heiß, zittrige Beine, Angstgefühle, brennende Augen, ständige Nervosität, Unkonzentriertheit (bzw. komplette Unfähigkeit, sich auf einfachste Dinge zu konzentrieren), starker Schweißgeruch, Wortfindungsstörungen, Gefühl, dass das Gehirn ausgesaugt wird, Temperaturregelung des Körpers spinnt (oft frieren und schwitzen kurz hintereinander).
Auch eine Art Suchtdruck merkte ich ganz ohne Tabletten, als würde mich etwas zu der Tablettenschachtel hinziehen!
Speziell bei abgesetztem Escitalopram: Die ersten 4-6 Wochen nach dem Absetzen ein komisches Gefühl im Hals/Magen, als würde mich jemand würgen, als würde ich die Hand an meinem Hals spüren, die leicht zudrückt.
Erfahrungsbericht: So wurde ich zum Langzeitkonsument / Paroxetin, Escitalopram abgesetzt
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Re: Erfahrungsbericht: So wurde ich zum Langzeitkonsument / Paroxetin, Escitalopram abgesetzt
Lena hat uns freundlicherweise die Erlaubnis gegeben, ihre Updates über ihren Genesungsprozess hier einzustellen:
Juli 2022:
Ihr wisst ja, wie es mir gegangen ist all die Jahre. Realistisch betrachtet ist mein Entzug KEIN Stück besser geworden in den 4 Jahren nach Null, auch wenn ich mir immer versucht habe, das einzureden. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, Jahr 3 und 4 waren kaum mehr zu ertragen.
Am absoluten Tiefpunkt vor einem Jahr, als mich neurologische Anfälle schon mehrmals pro Tag heimgesucht haben, hat mich ein amerikanischer Freund kontaktiert und erzählt, warum er sich ein halbes Jahr nicht mehr gemeldet hat. Er hatte ein Programm für die Gehirn-Neuroplastizität empfohlen bekommen und es, nach erstmal sehr vielen Zweifeln und Misstrauen, die letzten 6 Monate angewendet. Sein schlimmer Entzug (protrahiert) war damit erheblich besser geworden (mittlerweile ist er völlig geheilt )
Er riet mir, das Programm (DNRS) einmal anzusehen auf deren Seite, und dass es komplett wissenschaftlich gestützt sei. Ich recherchierte. Auch außerhalb der Seite (Grund: riesiges Misstrauen jeglichem "Heilungsversprechen" gegenüber).
Mir fiel auf, dass ich schon 2018 auf dieser Spur gewesen war, als ich Joe Dispenzas Buch "Ich bin das Placebo" gelesen und mich zu seinen wissenschaftlichen Forschungen über das Gehirn informiert hatte. Damals war ich sicher, dass das der Weg aus dieser Hölle wäre. Nur: Ich schaffte es nicht, es im Alltag anzuwenden. Es war zu schwammig, zu wenig praxistauglich, v.a. für einen Entzugskopf.
DNRS bietet dagegen eine kinderleichte Art der täglichen Anwendung, um das beschädigte Gehirn neu zu vernetzen und in einen Zustand zu bringen, wo es heilen kann (weg vom Alarmmodus).
Ich war sehr beeindruckt von den Erfahrungsvideos auf der Seite (retrainingthebrain.com), weil ich mich mit den vorigen Symptomen und Zuständen der Leute SO SEHR identifizieren konnte. Viele ihrer "Diagnosen" kennen wir ja auch im Entzug. Wäre ich wie viele andere zum Arzt gegangen, hätte ich sie alle zugeschrieben bekommen
Wegen meiner Vorkenntnisse zu diesem Thema entschied ich mich relativ schnell dazu, es zu versuchen. Ich hatte sowieso nichts mehr zu verlieren.
Und was soll ich sagen ... es schlug an. Monat für Monat sah ich kleine Verbesserungen. Klar, ein Auf und Ab bleibt, das ist die Natur der Heilung, aber mit Tendenz nach oben, was vorher NIE der Fall war. Bei meinem komplexen Fall rechnete ich auch mit einer etwas längeren Zeit als bei anderen. Nach 8-9 Monaten hatte ich den ganz großen Durchbruch. Seither geht es weiterhin nach oben. Es gab schon viele Tage, wo ich mich als völlig geheilt erlebt habe. Ich bin sicher, ich bin bald auf 100%.
Meine Nahrungsunverträglichkeiten habe ich übrigens binnen 2 Monaten geschafft VÖLLIG zu heilen!! Seither gibt es keine Einschränkung mehr bei mir, nicht einmal bei Koffein oder Alkohol.
Im April bin ich das erste Mal verreist. 10 Stunden Autofahrt
Natürlich muss man "Arbeit" hineininvestieren, das Gehirn täglich neu zu verknüpfen. Es ist Eigeninitiative nötig. Keiner nimmt dir das ab, keine Pille heilt dich schnell und bequem. Aber es ist um Welten weniger Arbeit und Mühe, als den Entzug auszuhalten.
Ich sage nicht, dass das der einzige Weg der Heilung ist. Es ist EIN Weg.
Wir alle hier im Forum wissen seit Jahren, dass die Neuroplastizität der Grund ist, warum unser Gehirn heilen wird. Weil es die Fähigkeit zur Veränderung (=Neuroplastizität) hat, bis zu unserem letzten Atemzug.
Was wir bisher nicht beachtet haben: Neuroplastizität geht in BEIDE Richtungen. Steuert man sie nicht, kann sie auch in die falsche Richtung gehen und das Gehirn in einer Art verändern, die in Richtung Krankheit und Kampf-Flucht-Modus geht.
Ich habe mittlerweile begriffen, dass die "selbstgesteuerte Neuroplastizität" der Schlüssel ist.
April 2024
Hallo ihr Lieben, falls sich noch jemand hier herumtreibt.
Ich wollte ein letztes Update geben und mich damit hier auch von euch verabschieden
Mir geht es weiterhin gut und ein großer Wunsch, von dem ich hier oft gesprochen habe, hat sich erfüllt: Ich bin aktuell schwanger und erwarte bald mein erstes Kind
Mir geht es sowohl körperlich als auch psychisch super damit, und ich bin überglücklich.
Wie es dazu gekommen ist (und es ist nicht "von allein" passiert durch Warten), habe ich ja bereits beschrieben.
Ich wünsche euch alles Gute!
Liebe Grüße,
eure Lena
April 2024
Liste der Dinge, die geholfen haben:
Unterstützendes Umfeld (und sei es noch so klein! Und ABSTAND zu allen anderen bis hin zu Kontaktabbruch, weil Trigger), Natur, Gartenarbeit, Tiere, Handarbeiten/Kreatives, etwas Bewegung, Musik (ich habe eine Menge Healing- oder Wohlfühl-Playlists auf Spotify angelegt :-)), gutes Essen (und keinerlei Diät oder Verbote, sondern einfach normal ausgeglichen), Schlafhygiene und nicht zuletzt: tägliche Übungen für die Neuvernetzung, Stärkung und Heilung meines Gehirns und fürs zur Ruhe kommen lassen meines Limbischen Systems sowie Meditationen und Visualisierungen.
Dieses neue Leben, die Empfindungen und Gefühle, die Erfahrungen und selbst das normale Auf und Ab des Lebens, das alles ist so wunderbar! Viel besser, als ich es mir in meinen Visualisierungen ausgemalt habe. Diese Freiheit, alles zu tun, dieses Füllhorn an Möglichkeiten, die sich plötzlich eröffnen, dieses neue Ich, das so gestärkt und selbstbewusst aus dieser Sache herausgegangen ist ... einfach grandios
Juli 2022:
Ihr wisst ja, wie es mir gegangen ist all die Jahre. Realistisch betrachtet ist mein Entzug KEIN Stück besser geworden in den 4 Jahren nach Null, auch wenn ich mir immer versucht habe, das einzureden. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, Jahr 3 und 4 waren kaum mehr zu ertragen.
Am absoluten Tiefpunkt vor einem Jahr, als mich neurologische Anfälle schon mehrmals pro Tag heimgesucht haben, hat mich ein amerikanischer Freund kontaktiert und erzählt, warum er sich ein halbes Jahr nicht mehr gemeldet hat. Er hatte ein Programm für die Gehirn-Neuroplastizität empfohlen bekommen und es, nach erstmal sehr vielen Zweifeln und Misstrauen, die letzten 6 Monate angewendet. Sein schlimmer Entzug (protrahiert) war damit erheblich besser geworden (mittlerweile ist er völlig geheilt )
Er riet mir, das Programm (DNRS) einmal anzusehen auf deren Seite, und dass es komplett wissenschaftlich gestützt sei. Ich recherchierte. Auch außerhalb der Seite (Grund: riesiges Misstrauen jeglichem "Heilungsversprechen" gegenüber).
Mir fiel auf, dass ich schon 2018 auf dieser Spur gewesen war, als ich Joe Dispenzas Buch "Ich bin das Placebo" gelesen und mich zu seinen wissenschaftlichen Forschungen über das Gehirn informiert hatte. Damals war ich sicher, dass das der Weg aus dieser Hölle wäre. Nur: Ich schaffte es nicht, es im Alltag anzuwenden. Es war zu schwammig, zu wenig praxistauglich, v.a. für einen Entzugskopf.
DNRS bietet dagegen eine kinderleichte Art der täglichen Anwendung, um das beschädigte Gehirn neu zu vernetzen und in einen Zustand zu bringen, wo es heilen kann (weg vom Alarmmodus).
Ich war sehr beeindruckt von den Erfahrungsvideos auf der Seite (retrainingthebrain.com), weil ich mich mit den vorigen Symptomen und Zuständen der Leute SO SEHR identifizieren konnte. Viele ihrer "Diagnosen" kennen wir ja auch im Entzug. Wäre ich wie viele andere zum Arzt gegangen, hätte ich sie alle zugeschrieben bekommen
Wegen meiner Vorkenntnisse zu diesem Thema entschied ich mich relativ schnell dazu, es zu versuchen. Ich hatte sowieso nichts mehr zu verlieren.
Und was soll ich sagen ... es schlug an. Monat für Monat sah ich kleine Verbesserungen. Klar, ein Auf und Ab bleibt, das ist die Natur der Heilung, aber mit Tendenz nach oben, was vorher NIE der Fall war. Bei meinem komplexen Fall rechnete ich auch mit einer etwas längeren Zeit als bei anderen. Nach 8-9 Monaten hatte ich den ganz großen Durchbruch. Seither geht es weiterhin nach oben. Es gab schon viele Tage, wo ich mich als völlig geheilt erlebt habe. Ich bin sicher, ich bin bald auf 100%.
Meine Nahrungsunverträglichkeiten habe ich übrigens binnen 2 Monaten geschafft VÖLLIG zu heilen!! Seither gibt es keine Einschränkung mehr bei mir, nicht einmal bei Koffein oder Alkohol.
Im April bin ich das erste Mal verreist. 10 Stunden Autofahrt
Natürlich muss man "Arbeit" hineininvestieren, das Gehirn täglich neu zu verknüpfen. Es ist Eigeninitiative nötig. Keiner nimmt dir das ab, keine Pille heilt dich schnell und bequem. Aber es ist um Welten weniger Arbeit und Mühe, als den Entzug auszuhalten.
Ich sage nicht, dass das der einzige Weg der Heilung ist. Es ist EIN Weg.
Wir alle hier im Forum wissen seit Jahren, dass die Neuroplastizität der Grund ist, warum unser Gehirn heilen wird. Weil es die Fähigkeit zur Veränderung (=Neuroplastizität) hat, bis zu unserem letzten Atemzug.
Was wir bisher nicht beachtet haben: Neuroplastizität geht in BEIDE Richtungen. Steuert man sie nicht, kann sie auch in die falsche Richtung gehen und das Gehirn in einer Art verändern, die in Richtung Krankheit und Kampf-Flucht-Modus geht.
Ich habe mittlerweile begriffen, dass die "selbstgesteuerte Neuroplastizität" der Schlüssel ist.
April 2024
Hallo ihr Lieben, falls sich noch jemand hier herumtreibt.
Ich wollte ein letztes Update geben und mich damit hier auch von euch verabschieden
Mir geht es weiterhin gut und ein großer Wunsch, von dem ich hier oft gesprochen habe, hat sich erfüllt: Ich bin aktuell schwanger und erwarte bald mein erstes Kind
Mir geht es sowohl körperlich als auch psychisch super damit, und ich bin überglücklich.
Wie es dazu gekommen ist (und es ist nicht "von allein" passiert durch Warten), habe ich ja bereits beschrieben.
Ich wünsche euch alles Gute!
Liebe Grüße,
eure Lena
April 2024
Liste der Dinge, die geholfen haben:
Unterstützendes Umfeld (und sei es noch so klein! Und ABSTAND zu allen anderen bis hin zu Kontaktabbruch, weil Trigger), Natur, Gartenarbeit, Tiere, Handarbeiten/Kreatives, etwas Bewegung, Musik (ich habe eine Menge Healing- oder Wohlfühl-Playlists auf Spotify angelegt :-)), gutes Essen (und keinerlei Diät oder Verbote, sondern einfach normal ausgeglichen), Schlafhygiene und nicht zuletzt: tägliche Übungen für die Neuvernetzung, Stärkung und Heilung meines Gehirns und fürs zur Ruhe kommen lassen meines Limbischen Systems sowie Meditationen und Visualisierungen.
Dieses neue Leben, die Empfindungen und Gefühle, die Erfahrungen und selbst das normale Auf und Ab des Lebens, das alles ist so wunderbar! Viel besser, als ich es mir in meinen Visualisierungen ausgemalt habe. Diese Freiheit, alles zu tun, dieses Füllhorn an Möglichkeiten, die sich plötzlich eröffnen, dieses neue Ich, das so gestärkt und selbstbewusst aus dieser Sache herausgegangen ist ... einfach grandios
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