Studie: Einnahme von Antidepressiva jeden zweiten Tag birgt das Risiko schwerer Entzugssymptome (O'Neill et al., 2025))

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Studie: Einnahme von Antidepressiva jeden zweiten Tag birgt das Risiko schwerer Entzugssymptome (O'Neill et al., 2025))

Forschungsarbeit: Die Einnahme von Antidepressiva jeden zweiten Tag zur schrittweisen Reduzierung birgt das Risiko schwerer Entzugserscheinungen: eine In-silico-Analyse (O'Neill et al.)
Link zur Studie

In dieser Arbeit untersucht ein Forscherteam um James R. O'Neill mittels einer Computermodellierung (In-silico) wie sich die Einnahme eines Antidepressivum jeden 2. Tag auf die Belegung der Serotonintransporter und damit auf das das Risiko von Entzugssymptomen auswirkt


Wichtige Punkte
  • Die Einnahme von Antidepressiva jeden zweiten Tag birgt das Risiko von Entzugserscheinungen und einer erfolglosen Reduzierung.
  • Eine häufigere Einnahme (zwei- oder dreimal täglich) in niedrigeren Dosen kann Entzugserscheinungen verringern.
  • Die Reduzierung sollte individuell auf die Verträglichkeit jeder Person abgestimmt werden.

Abstrakt:

Hintergrund
Ärzte empfehlen häufig, Antidepressiva bei einer Reduzierung der Dosis jeden zweiten Tag zu verabreichen, um die „durchschnittliche“ Tagesdosis zu senken. Dies wird anstelle von flüssigen Darreichungsformen oder anderen Methoden zur Herstellung kleinerer Dosen angewendet. Es gibt nur begrenzte Belege für diesen Ansatz. In diesem Artikel wird die Variation des Intervalls zwischen den Dosen bei der Reduzierung von fünf häufig verwendeten Antidepressiva untersucht: Citalopram, Escitalopram, Sertralin, Duloxetin und Mirtazapin. Wir haben die daraus resultierende Belegung der relevanten Zielrezeptoren analysiert, um festzustellen, ob eine Verlängerung des Intervalls zwischen den Dosen das Risiko von Entzugssymptomen wahrscheinlich erhöht.

Design und Methoden
Die Analyse wurde in silico unter Verwendung bereits vorhandener pharmakokinetischer Daten durchgeführt, darunter Bioverfügbarkeit, Verteilungsvolumina, Zeit bis zur maximalen Konzentration und Eliminationshalbwertszeiten. Es wurde eine Modellierung durchgeführt, um die Auswirkungen einer veränderten Verabreichungshäufigkeit zu bewerten. Die Rezeptorbelegung wurde anhand früherer Bildgebungsdaten vorhergesagt. Wir verwendeten vordefinierte Schwellenwerte, um die Verträglichkeit der Variation der Rezeptorbelegung für verschiedene Dosierungsstrategien zu bewerten.

Ergebnisse
Die Verlängerung des Intervalls zwischen den Dosen führte zu einer deutlichen Zunahme der Schwankung der Rezeptorbelegung bei Standarddosen aller Antidepressiva. Die Schwankung nahm mit sinkender Dosierung bis zur ED50 für jedes Medikament zu, die oft weit unter den in der aktuellen Praxis verwendeten Dosen liegt. Daher erhöht eine Verlängerung des Dosierungsintervalls bei minimalen therapeutischen Dosen oder sogar bei der Hälfte dieser Dosis wahrscheinlich das Risiko von Entzugserscheinungen und kann nicht als umsichtige Strategie für das Absetzen empfohlen werden.

Schlussfolgerung
Eine Verabreichung jeden zweiten Tag führt bei den in dieser Studie untersuchten Antidepressiva wahrscheinlich zu Entzugserscheinungen. Diese Empfehlungen bleiben theoretisch, bis weitere klinische Forschungen und empirische Validierungen unserer vorgeschlagenen Entzugsspläne für Antidepressiva vorliegen.


Schlussfolgerungen

Die Einnahme von Antidepressiva jeden zweiten Tag zur Dosisreduktion scheint laut den Ergebnissen unserer Modellstudie die Schwankungen der Rezeptorbelegung zu erhöhen, was das Risiko schwerer Entzugserscheinungen steigern kann. Stattdessen wäre die Verschreibung von Flüssigkeiten (wie in den NICE-Leitlinien empfohlen) oder anderen Mitteln zur Erzielung kleiner Dosen, einschließlich Off-Label-Optionen, vorzuziehen, da dies die Entzugserscheinungen wahrscheinlich minimiert. Tatsächlich kann eine häufigere tägliche Dosierung von Antidepressiva (z. B. zweimal täglich) vorteilhaft sein, um Entzugssymptome zu begrenzen. Es bedarf jedoch dringend einer empirischen Validierung, um die Ergebnisse dieser In-silico-Modellierung zu bestätigen.

Theoretisch ist es zwar möglich, das Intervall zwischen den Dosen gegen Ende einer Medikamentenreduktion zu verlängern, dies ist jedoch wahrscheinlich nur bei Dosen von maximal 0,3 mg Citalopram, 0,5 mg Escitalopram, 1 mg Sertralin, 1 mg Duloxetin oder 0,05 mg Mirtazapin sinnvoll. Dieser Ansatz ist aufgrund individueller Unterschiede im Arzneimittelstoffwechsel sowie der erhöhten SERT- Schwankungen, die durch das Auslassen von Dosen entstehen würden, nicht für alle Patienten tolerierbar.

Es ist ratsam, jede Dosisreduktion individuell durchzuführen und die Reduktionsgeschwindigkeit so anzupassen, dass das Auftreten von Antidepressiva-Entzugssymptomen minimiert wird. Letztendlich sollte die Entzugserfahrung des Patienten Vorrang vor jedem verschriebenen Reduktionsschema haben.

Quellenangabe: James R. O'Neill, Anders Sørensen, David Taylor, Mark A. Horowitz,
Alternate-day dosing to taper antidepressants risks severe withdrawal effects: an in silico analysis, Journal of Affective Disorders, 2025,120084, ISSN 0165-0327,
https://doi.org/10.1016/j.jad.2025.120084.
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