Wenn unter Psychopharmaka eine Schwangerschaft auftritt, dürfen diese keinesfalls abrupt abgesetzt werden, es sei denn, der behandelnde Arzt hält dies medizinisch für zwingend erforderlich.
Antidepressiva
- Einführung:
Serotonin ist ein wichtiger Neurotransmitter, der u.a. an der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Serotoninsystem des Gehirns beteiligt ist. Darüber hinaus ist Serotonin an der Regulierung vieler Körperfunktionen beteiligt (z.B. Atmung, Blutgerinnung, Blasenkontrolle etc.)
Serotonin nimmt auch bei der fötalen Entwicklung eine entscheidende Rolle ein:
"In den ersten acht Wochen der schnellen fötalen Entwicklung sorgt es für die Kommunikation zwischen den Zellen der Embryonen und hilft den Zellen, sich zu vermehren, zu migrieren (aktiv bewegen) und sich je nach Bedarf im ganzen Körper und Gehirn zu entwickeln oder abzusterben. Es liefert die „zelluläre Sprache“ im Embryo-Bauplan."
Antidepressiva und andere Medikamente, die auf das serotonerge System einwirken, können daher Risiken für den Fötus und die Gesundheit des Kindes darstellen.
Zu den Risiken gehören u.a.:- Fehlgeburten
- Geburtsfehler, einschließlich Herz- und Gesichtsfehlbildungen
- intrauterine Wachstumsverzögerung
- Frühgeburtlichkeit, niedriges Geburtsgewicht
- niedrige Apgar-Werte (Indikatoren für die allgemeine Gesundheit des Neugeborenen)
- Entwicklungsverzögerungen, Sprech-/Sprachstörungen
- neuropsychiatrische Störungen
- neonatales Entzugssyndrom
- pulmonalen Hypertonie (Lungenhochdruck) bei Einnahme in der Spätschwangerschaft
Übersicht der wichtigsten Forschungsarbeiten: Antidepressiva in der Schwangerschaft: Risiken für den Fötus und die langfristige Gesundheit des Kindes auf MIA
- Entzugssyndrom bei Neugeborenen
*Neonatales Entzugssyndrom nach später SSRI-in-utero-Exposition auf Arznei-News 2021
In einer systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse wurden Entzugssymptome bei Neugeborenen, deren Mütter in der Spätschwangerschaft ein SSRI/SNRI Antidepressiva eingenommen hatten, ermittelt. Beschrieben wurden Hypoglykämie (Unterzuckerung), Tremor (Zittern), Hypotonie und Hypertonie (zu niedriger und zu hoher Blutdruck) , Tachykardie (beschleunigter Puls), schnelle Atmung, Atemnot.
Die Studienautoren halten Absetzen/ langsames Ausschleichen von Antidepressiva während der frühen Phase der Schwangerschaft für einen Versuch wert, um das Auftreten dieses Syndroms zu verhindern.
*Neonatal withdrawal syndrome following in utero exposure to antidepressants auf Psychological Medicine, 2022
Artikel dazu: Gesundheitsrisiken für Babies, wenn Antidepressiva während der Schwangerschaft verwendet werden auf Madinamerica
Eine neue große Datenbankanalyse ergab, dass Babies, deren Mütter während der Schwangerschaft Antidepressiva eingenommen hatten, mehr als sechsmal häufiger an einem neonatalen Entzugssyndrom litten als Babies von Müttern, die andere Medikamente eingenommen hatten. Die am häufigsten berichteten Symptome waren Atemprobleme, Reizbarkeit/Unruhe, Zittern und Ernährungsprobleme. 84 % der Berichte über ein neonatales Entzugssyndrom wurden als schwerwiegend eingestuft.
Das höchste Risiko wiesen trizyklische Antidepressiva (10,5-fach erhöht) auf, gefolgt von anderen Antidepressiva wie z.B. SNRI, Mirtazapin (5,9- fach erhöht), und den SSRI (4.68- fach erhöht). Kein erhöhtes Risiko schien es bei Bupropion zu geben.
Die Forscher schreiben: "Bei der Abwägung potenzieller Vorteile und Risiken für die Verschreibung von Antidepressiva während der Schwangerschaft sollten Ärzte das Risiko eines Neugeborenen-Entzugssyndroms bei jeder Art von Antidepressivum nicht unterschätzen."
Weitere Artikel zum Thema:
* Beeinträchtigung Neugeborener durch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer u.a.
arznei-telegramm 2004
*Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) in der Spätschwangerschaft und Entzugssymptome bei Neugeborenen
Arzneimittelbrief 2005
- Lungenhochdruck bei Neugeborenen
*Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und pulmonale Hypertonie auf Arznei-News 2012
Neugeborene deren Mütter in der Spätschwangerschaft ein SSRI Antidepressiva einnahmen, haben ein doppelt so hohes Risiko mit pulmonaler Hypertonie auf die Welt zu kommen.
Bei einer Pulmonale Hypertonie (PH oder PHT) und pulmonal-arterielle Hypertonie (PAH) kommt es zu einem zunehmenden Anstieg des Blutdrucks im Lungenkreislauf, dadurch bedingte Atemprobleme, Herzinsuffizienz und unbehandelt zu einer durchschnittlicher Lebenserwartung von 3 Jahren.
Die Studienautoren weisen darauf hin, dass schwangere Frauen vor der Verwendung von SSRI über dieses Risikos informiert werden sollten.
Weitere Artikel zum Thema:
*Neugeborene: Lungenhochdruck nach SSRI-Exposition arznei-telegramm 2006
*SSRI, Venlafaxin und Mirtazapin: Risiko von primärer pulmonalen Hypertonie bei Neugeborenen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2010 PDF
- Veränderte Gehirnentwicklung des Fetus unter Antidepressiva
*Pränatale Exposition gegenüber SSRI-Antidepressiva steht in Verbindung mit der Entwicklung des fetalen Gehirns auf Arznei-News 2020
Bei dieser Studie der Columbia University Medical Center wurde bei Neugeborenen die in der Gebärmutter einem SSRI Antidepressiva ausgesetzt waren eine Vergrößerung von Amygdala und Inselrinde festgestellt.
Dies deuten darauf hin, dass die vorgeburtliche SSRI-Exposition einen Zusammenhang mit der Entwicklung des fetalen Gehirns hat, insbesondere in den für die emotionale Verarbeitung kritischen Gehirnregionen.
Weitere Artikel zum Thema
*Antidepressiva: Studie findet Veränderungen in emotionalen Hirnzentren von Feten Ärzteblatt 2018
- Erhöhtes Risiko für Schwangerschaftsdiabetes
*Antidepressiva und Schwangerschaftsdiabetes / Gestationsdiabetes auf Arznei-News 2019
Laut einer Beobachtungsstudie der University of Montreal ist die Einnahme von Antidepressiva während der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Diabetes verbunden. Untersucht wurden Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI, sowie Venlafaxin und Amitriptylin. Bei diesen Medikamenten war das Diabetesrisiko um durchschnittlich 19 % erhöht. Am höchsten bei Amitriptylin (52%) und Venlafaxin (27%).
Das Risiko steigt mit der Länge der Einnahmezeit.
Weitere Artikel zum Thema:
*Antidepressiva erhöhen Risiko für Schwangerschafts-Diabetes Pharmazeutische-Zeitung.
- Risiken von SSRI in der Schwangerschaft
*SSRI für Schwangere: Mehr Frühgeburten, Fehlbildungen und Verhaltensstörungen auf Medscape
Nehmen Schwangere selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) ein, ist dies mit Risiken für das Kind verbunden. In einer umfassenden Literaturabeit, die erstmals 2012 veröffentlicht wurde, stellten die Wissenschaftler eine Häufung von Fehl- und, Frühgeburten, nachgeburtlichen Komplikationen und möglicherweise langfristige Verhaltensstörungen fest.
Verhaltensstörungen bei Säuglingen, wie anhaltendes Weinen, Unruhe und Schwierigkeiten beim Stillen kommen gehäuft vor. Es besteht ein erhöhtes Risiko für eine verzögerte motorische Entwicklung bei Säuglingen und Kleinkindern sowie für autistische Störungen.
Die Studienautorin Domar kommt daher zu der Feststellung, dass SSRI während der Schwangerschaft oder bei Frauen mit Schwangerschaftswunsch unter strengster Nutzen-Risiko-Abwägung zu verordnen sind.
- Frühgeburt durch Antidepressiva
*SRI-Antidepressiva scheinen ein leichter Risikofaktor für eine Frühgeburt zu sein auf Arznei-News
Eine Studie der Yale University 2012 fand heraus, dass die Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern Antidepressiva (SRI) während der Schwangerschaft das Risiko für eine späte Frühgeburt bedeutend erhöht.
- Fehlgeburt durch Antidepressiva
*Antidepressiva als Fehlgeburtrisiko Ärzteblatt 2010
Laut einer Fall-Kontroll Studie der Universität Montral könnte die Einnahme von SSRI Antidepressiva in der Frühschwangerschaft das Risiko eines spontanen Aborts begünstigen.
Überdurchschnittlich hoch war das Risiko bei den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer sowie bei der kombinierten Behandlung mit verschiedenen Antidepressiva . Unter den einzelnen Substanzen stachen Paroxetin und Venlafaxin hervor.
- Fehlbildungen durch Antidepressiva
*Fehlbildungen durch Antidepressiva auf Medscape 2020
Nach einer Studie Dr. Jennita Reefhuis, Direktorin der CDC-Abteilung für Fehlbildungen und Kinderkrankheiten in Atlanta, Georgia "kann die Einnahme des Antidepressivums Venlafaxin während der Frühschwangerschaft mit mehreren Geburtsfehlern in Verbindung gebracht werden, wie etwa Herzfehler, Defekte des Gehirns und der Wirbelsäule, Lippen- und Gaumenspalte, Hypospadie und Gastroschisis"
Weitere Artikel zum Thema :
*SSRI-Antidepressiva: Studie sieht unterschiedliches Fehlbildungsrisiko Ärzteblatt 2015
*Maternal Use of Selective Serotonin Reuptake Inhibitors and Risk of Congenital Malformations Epidemiology: November 2006
*Fehlbildungen durch Paroxetin in der Schwangerschaft Arznei Telegramm 2005