Neues aus der Forschung

(Fach-)Artikel, Studien und weitere wissenschaftliche Texte, Aufklärungsvideos etc. zum Absetzen von Antidepressiva, Benzodiazepinen und Neuroleptika (Antipsychotika)
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Langzeiteinnahme von Antidepressiva kann einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Depression haben

Langzeiteinnahme von Antidepressiva kann einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Depression haben

Können Antidepressiva den langfristigen Verlauf depressiver Erkrankungen negativ verändern?

Eine Forscherteam um Gerhard Gründer untersuchte mithilfe einer Literaturrecherche, ob eine Langzeiteinnahme von Antidepressiva den Verlauf depressiver Erkrankungen verschlechtern kann. Sie fanden Hinweise darauf, dass dies bei einem Teil der Patienten zutrifft:
  • Die relativ häufigen Rückfälle unter einer Langzeiteinahme deuten auf eine Toleranzentwicklung gegen den Wirkstoff hin.
  • Nach dem Absetzen des Antidepressivums kommt es zu häufigeren Rückfällen, als dies vor Beginn der Behandlung der Fall war.
  • Die Ursache für diese negativen Folgen sind wahrscheinlich Anpassungsprozesse des ZNS auf den Wirkstoff.
Die Forscher weisen darauf hin, dass diese Risiken bereits vor Beginn der Behandlung mit Antidepressiva bedacht werden sollten.

Quellenangabe: Gründer, G., Mertens, L.J., Spangemacher, M. et al. Können Antidepressiva den langfristigen Verlauf depressiver Erkrankungen negativ verändern? Nervenarzt 96, 146–152 (2025) https://doi.org/10.1007/s00115-025-01801-1
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Antidepressiva sind mit deutlich erhöhtem Risiko für plötzlichen Herztod verbunden / Neues aus der Forschung

Presseveröffentlichung:

Einnahme von Antidepressiva mit deutlich erhöhtem Risiko für plötzlichen Herztod verbunden

30 Mär 2025
  • Patienten mit psychiatrischen Störungen haben ein doppelt so hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod, aber die Auswirkungen der Einnahme von Antidepressiva waren bisher unklar.
  • Eine neue Studie zeigt, dass eine ein- bis fünfjährige Einnahme von Antidepressiva das Risiko für einen plötzlichen Herztod um 56 % erhöht und dass sich das Risiko bei einer Einnahme von sechs Jahren oder länger mehr als verdoppelt.
Ergebnisse im Einzelnen:
  • Personen im Alter von 30 bis 39 Jahren hatten bei einer Antidepressiva Einnahmezeit von 1 bis 5 Jahren ein ca. dreifach so hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod, bei einer Einnahme von über 6 Jahren ein ca. fünffach so hohes Risiko als die Allgemeinbevölkerung ohne Antidepressiva Einnahme.
  • Personen im Alter von 50 bis 59 Jahren hatten bei einer Antidepressiva Einnahmezeit von 1 bis 5 Jahren ein ca. doppelt so hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod, bei einer Einnahme von über 6 Jahren ein ca. vierfach so hohes Risiko als die Allgemeinbevölkerung ohne Antidepressiva Einnahme.
  • Personen im Alter von 70 bis 79 Jahren hatten bei einer Antidepressiva Einnahmezeit von 1 bis 5 Jahren ein ca. 1,83- fach so hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod, bei einer Einnahme von über 6 Jahren ein ca.2,2 fach so hohes Risiko als die Allgemeinbevölkerung ohne Antidepressiva Einnahme.
  • Personen im Alter von 40 bis 49 Jahren hatten bei einer Antidepressiva Einnahmezeit von 6 oder mehr Jahren ein um 70 % höheres Risiko als Personen mit einer Einnahme von 1-5 Jahren.
Möglichen Gründe für den Zusammenhang zwischen Antidepressiva Einnahme und dem erhöhten Risiko eines plötzlichen Herztod:

Laut der Co-Autorin Dr Jasmin Mujkanovic könnte das erhöhte Risiko mit den möglichen unerwünschten Wirkungen (Nebenwirkungen) der Antidepressiva zusammenhängen. Die Studie ist jedoch kein Beleg für einen kausalen Zusammenhang, da auch andere Faktoren, wie Schwere der Grunderkrankung oder die Lebensweise eine Rolle spielen könnten.
Eine weitere Forschung sei notwendig.

Quellenangabe:
Use of antidepressant medication linked to substantial increase in risk of sudden cardiac death (Vienna, Austria- 30 March 2025), European Society of Cardiology
https://www.escardio.org/The-ESC/Press- ... diac-death
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Erhöhtes Sturzrisiko unter Psychopharmaka bei älteren Menschen in Pflegeheimen / Neues aus der Forschung

Erhöhtes Sturzrisiko unter Psychopharmaka bei älteren Menschen in Pflegeheimen

Studie: Auswirkungen potenziell unangemessener psychotroper Arzneimittel auf Stürze bei älteren Erwachsenen in 23 Altenpflegeeinrichtungen in Australien: eine retrospektive Längsschnitt-Kohortenstudie (Narjis Batool et al., 2025)

Eine neue, australische Längsschnittstudie untersucht den Zusammenhang zwischen einer Einnahme von potenziell ungeeigneten Psychopharmaka und Stürzen in Altenpflegeheimen.
Für die Studie wurden die Daten von 3064 Bewohner der Langzeitpflege in australischen Pflegeheimen über einen Zeitraum von 2 Jahren ausgewertet. 40% von ihnen nahmen zumindest ein potenziell ungeeignetes Psychopharmaka (ZNS-PIPM) ein. Diese Medikamentenklasse umfasst Antidepressiva mit starker anticholinerger Wirkung, Antiparkinson Wirkstoffe mit starker anticholinerger Wirkung, typische und atypische Antipsychotika, Benzodiazepine, Barbiturate und Z-Substanzen.

Ergebnisse:
Diejenigen, die ein potenziell ungeeignetes Psychopharmaka einnahmen, hatten ein fünfmal höheres Risiko für Stürze im Vergleich zu Nicht-Anwendern.
70 % von den Anwendern erlitten mindestens einen Sturz, 53,6 % mit Verletzungsfolgen und bei 30,2 % war ein Krankenhausaufenthalt erforderlich.

Die Forscher führen aus:
Obwohl solche Medikamente manchmal notwendig sein können, betonen die aktuellen Leitlinien für Beste Praxis (38 39), dass nicht-pharmakologische Interventionen die erste Wahl bei der Behandlung von verhaltensbezogenen und psychologischen Symptomen der Demenz (BPSD) sein sollten. Psychopharmaka, einschließlich Antipsychotika, Benzodiazepine und Antidepressiva, sollten nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Verhaltenssymptome eine erhebliche Belastung darstellen oder Schaden anrichten und wenn nicht-pharmakologische Strategien wie kognitive Verhaltenstherapie, psychosoziale Interventionen, körperliche Aktivität und andere sensorische Stimulationen sowie Musiktherapien (40) unwirksam waren.

Darüber hinaus kann ein hoher Benzodiazepin-Konsum das Risiko von Stürzen, Knochenbrüchen, Angststörungen, Lungenentzündungen und Demenz erhöhen.(41-43) Ein unangemessener Einsatz von Antipsychotika kann zu Lungenentzündungen, venösen Thromboembolien und zerebrovaskulären Ereignissen führen, (44 45) während unangemessene Antidepressiva das Risiko kognitiver Defizite erhöhen können.(46)
Fazit:
In Anbetracht dieser Risiken sind eine sorgfältige Abwägung und regelmäßige Überprüfung der Verordnungen von Psychopharmaka unerlässlich, um einen angemessenen und sicheren Einsatz bei älteren Erwachsenen mit Demenz zu gewährleisten.(47) Die regelmäßige Einnahme von PIPM sollte vermieden werden, und die Absetzung von Psychopharmaka sollte nach Möglichkeit befürwortet werden.
Quellenangabe: Batool N, Raban MZ, Seaman K, et al. Impact of potentially inappropriate psychotropic medicines on falls among older adults in 23 residential aged care facilities in Australia: a retrospective longitudinal cohort study. BMJ Open 2025;15:e096187. doi: 10.1136/bmjopen-2024-096187 Link
https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
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SSRI Antidepressiva und das Risiko eines Serotoninsyndroms / Neues aus der Forschung

SSRI Antidepressiva und das Risiko eines Serotoninsyndroms

Studie: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und das Risiko eines Serotonin-Syndroms als Folge von Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln: Analyse des FDA Adverse Event Reporting System (FAERS)

Hintergrund:
"Medikamente mit serotonergen Eigenschaften wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Opioide und andere Antidepressiva können als unerwünschte Wirkung das Serotoninsyndrom auslösen, eine seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkung."

Ziel:
"Diese Studie zielt darauf ab, die Risiken des Serotonin-Syndroms bei verschiedenen SSRI zu untersuchen und den Einfluss von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu bewerten."

Methoden:
"Wir analysierten die mutmaßlichen unerwünschten Ereignisse in der Datenbank FAERS (Food and Drug Administration Adverse Event Reporting System) der USA."
Highlights der Studie:
  • - "Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) weisen in der FAERS-Datenbank die meisten gemeldeten Fälle von Serotonin-Syndrom auf.
  • - Bei gleichzeitigem Auftreten von Depressionen und Schmerzen sollten SSRI vorzugsweise zusammen mit Opioiden eingesetzt werden, die ein geringeres Risiko für die Entstehung eines Serotoninsyndroms aufweisen.
  • - Bei der Verschreibung von SSRI in Kombination mit anderen Antidepressiva-Klassen ist eine genaue Überwachung auf Symptome des Serotonin-Syndroms zu erwägen."

Ergebnisse:

  • Alle Wirkstoffe der SSRI-Gruppe wurden mit dem Serotonin-Syndrom in Verbindung gebracht. Sertralin ist unter den SSRI das mit den meisten Fallberichten, während das Risiko eines Serotonin-Syndroms bei Fluvoxamin im Vergleich zu anderen SSRI am höchsten ist.
  • Die Kombination von SSRI mit SNRI oder „anderen Antidepressiva“ (einschließlich Bupropion, Mirtazapin und Trazodon) ist mit einem höheren Risiko für ein Serotonin-Syndrom verbunden, während für die Kombination mit trizyklischen oder tetrazyklischen Antidepressiva keine Wechselwirkung festgestellt wurde.
  • Bei der Kombination von SSRI mit Opioiden wurde ein höheres Risiko für ein Serotonin-Syndrom bei der Kombination von SSRI mit Hochrisiko-Opioiden (wie Tramadol, Pethidin, Dextromethorphan, Fentanyl, Tapentadol und Methadon) festgestellt, jedoch nicht bei Kombination mit Niedrigrisiko-Opioiden.

Schlussfolgerung:
"Unsere Studie ergab, dass Sertralin das SSRI mit der höchsten Zahl gemeldeter Fälle von Serotonin-Syndrom war, während das höchste Risiko für Fluvoxamin im Vergleich zu anderen SSRI festgestellt wurde. Die Kombinationen, die mit einem höheren Risiko eines Serotonin-Syndroms verbunden waren, waren SSRI mit anderen Antidepressiva, außer mit trizyklischen oder tetrazyklischen Antidepressiva, mit Hochrisiko-Opioiden wie Tramadol, Tapentadol oder Fentanyl sowie mit Linezolid und MAOi. Eine engmaschige Überwachung auf Symptome des Serotonin-Syndroms sollte bei Patienten mit Depressionen in Betracht gezogen werden, wenn eine Kombination von Antidepressiva verschrieben wird, sowie bei Patienten, die SSRIs einnehmen und gleichzeitig Linezolid, MAOi oder Hochrisiko-Opioide benötigen."

Quellangabe: Novella A, Elli C, Pasina L. Selective Serotonin Reuptake Inhibitors and Risk of Serotonin Syndrome as Consequence of Drug-Drug Interactions: analysis of The FDA Adverse Event Reporting System (FAERS). Med Princ Pract. 2025 Apr 25:1-12. doi: 10.1159/000546109. Epub ahead of print. PMID: 40288362. Link, PDF

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Fluoxetin bei Jugendlichen - Wirksamkeit und Risiken / Neues aus der Forschung

Fluoxetin bei Jugendlichen - Wirksamkeit und Risiken

Neuanalyse der TADS Studie zur Depressionsbehandlung für Heranwachsende mit Fluoxetin

Fluoxetin ist das einzige SSRI Antidepressivum, das zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Depressionen zugelassen ist. Es wird für diese Altersgruppe häufig verschrieben, was u.a. mit den Ergebnissen der TADS Studie aus dem Jahr 2007 begründet wird.

In dieser aktuellen Studie wurde die Wirksamkeit von Fluoxetin bei Jugendlichen mit Depressionen im Alter von 12 bis 17 Jahren mit der von einem Placebo, der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), und einer Kombination von Fluoxetin plus KVT verglichen. Die Studienteilnehmer wurden per Zufall für jeweils 12 Wochen einer der 4 Behandlungsgruppen zugeteilt, die Ergebnisse wurden anhand einer Depressionsskala verglichen.

Es zeigte sich kein Unterschied zwischen der Behandlung mit Fluoxetin, dem Placebo und der KVT. Nur die Kombinationsbehandlung Fluoxetin plus KVT zeigte bessere Ergebnisse.
Allerdings waren die Studienarme mit KVT nicht verblindet, d.h. die Teilnehmer der Kombinationsgruppe wussten, dass sie tatsächlich den Wirkstoff bekamen. Es gab keine Kontrollgruppe mit der Kombination Placebo plus KVT.

Ein australisches Forscherteam um Professor Jon Jureidini hat die Ergebnisse dieser Studie nun neu analysiert, um zu überprüfen, ob diese Studie tatsächlich die häufige Verschreibung von Fluoxetin an Heranwachsende mit Depressionen wissenschaftlich rechtfertigt. Ein besonderes Augenmerk richteten sie dabei auf schwerwiegenden Nebenwirkungen.

Die Autoren kommen zu folgenden Schlussfolgerungen:
Unsere Reanalyse bestätigte den Bericht der ursprünglichen Forscher, dass die Kombinationsbehandlung die besten Ergebnisse zeigte und dass Fluoxetin dem Placebo nicht überlegen war. Im Gegensatz zu den Berichten des ursprünglichen TADS-Teams wurde in den Zuteilungsgruppen, die Fluoxetin einnahmen, ein höheres Maß an Schädigungen aufgedeckt, darunter 11 nicht gemeldete unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Suizid. Insgesamt begründet der deutliche Anstieg der Schädigungen bei den Teilnehmern, die Fluoxetin einnahmen, weitere Vorsicht bei der Verschreibung von Fluoxetin an Heranwachsende.
Quellenangabe: Aboustate N, Jureidini J, Woodman R, et al. Restoring TADS: RIAT reanalysis of the Treatment for Adolescents with Depression Study. International Journal of Risk & Safety in Medicine. 2025;0(0). https://doi.org/10.1177/09246479251337879
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