Grundlagen zu Neuroleptika

Wirkweise, Nebenwirkungen und Risiken von Antidepressiva, Benzodiazepinen, Neuroleptika (Antipsychotika) und Phasenprophylaktika
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Grundlagen zu Neuroleptika

Dieser Infotext ist eine Gemeinschaftsarbeit des Teams von adfd.org und wurde dort erstmalig veröffentlicht.



WICHTIGER HINWEIS: Dieser Artikel gibt eine Einführung in das Thema Neuroleptika. Um diese Einführung leicht verständlich zu halten, sind sehr komplexe Zusammenhänge stark vereinfacht dargestellt.


Neuroleptika werden auch Antipsychotika genannt. Sie wirken unter anderem antipsychotisch, antimanisch, dämpfend und beruhigend. Hauptsächlich werden sie zur Behandlung von Wahnvorstellungen und Halluzinationen eingesetzt, wie sie etwa im Rahmen einer Schizophrenie oder Manie auftreten können. Zusätzlich werden sie auch als Beruhigungsmittel verwendet.

Neuroleptika werden "off-label" (das ist die Verordnung von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten) auch bei Schlafproblemen verordnet.
Die Verordnungen bei älteren Menschen, insbesondere in Pflegeheimen hat stark zugenommen. Sie werden da auch gegen Verhaltensauffälligkeiten, wie Unruhe, Weglaufen, Schreien etc. eingesetzt.

Neuroleptika können körperlich abhängig machen, es kann ein langwieriger Absetzprozess erforderlich sein. Neuroleptika machen jedoch nicht süchtig, da keine psychische Abhängigkeit entsteht.



Wirkprinzip der Neuroleptika


Neuroleptika wirken direkt auf den Gehirnstoffwechsel, hauptsächlich indem sie die Konzentration der Botenstoffe Dopamin und Serotonin verändern. Eine zentrale Wirkweise ist die Hemmung der Signalweiterleitung durch Dopamin im Zentralnervensystem.
Dopamin steuert vor allem Motivation und Antrieb.

Nervenzellen leiten mit Hilfe von Botenstoffen Informationen weiter.
Zwischen zwei Nervenzellen befindet sich eine kleine Lücke, der sogenannte synaptische Spalt. Um ihre Information über diesen Spalt hinweg zu der nächsten Nervenzelle zu übermitteln, schüttet die Nervenzelle Dopamin in den Spalt. Das Dopamin dockt an spezielle Andockstellen (Rezeptoren) der nachfolgenden Zelle an und überbringt die Botschaft. Danach löst es sich wieder vom Rezeptor.

Neuroleptika setzen sich an diese Rezeptoren und belegen sie. Dadurch kann weniger Dopamin an die Rezeptoren andocken, die Signalweiterleitung wird gehemmt.

Je nach Wirkstoff belegen Neuroleptika weitere Rezeptoren, z.B. Serotoninrezeptoren, Adrenorezeptoren, Histaminrezeptoren, muskarinische Acetylcholinrezeptoren und andere. Durch diese unterschiedliche Rezeptorenbindungen sind die Wirkungen und Nebenwirkungen der einzelnen Medikamente etwas unterschiedlich.

Neuroleptika wirken jedoch wenig spezifisch. Sie beeinflussen auch Hirnbereiche, die von der psychotischen Störung gar nicht betroffen sind und völlig andere Funktionen haben. Dies ist mit ein Grund für die zahlreichen Nebenwirkungen.


INFO: Links zu Studien und Fachartikeln findest du in der Rubrik „Hintergrundinformationen und wissenschaftliche Texte“.

INFO: Weitere Infos zu Absetzsymptomen und wie sie entstehen findest du in der Rubrik "Grundlagen zum Absetzen".



Einteilung der Neuroleptika


Neuroleptika werden in typische (klassische) und atypische unterteilt.
Typische Neuroleptika werden in hochpotente, mittelpotente und niedrigpotente Neuroleptika eingeteilt.


hochpotente Neuroleptika
Wirkstoffe (in absteigender Potenz): Benperidol, Trifluperidol, Haloperidol, Bromperidol, Flupentixol, Fluspirilen, Olanzapin, Pimozid, Risperidon, Fluphenazin, Perphenazin, Zuclopenthixol, Clopenthixol


mittelpotente Neuroleptika
Wirkstoffe: Zotepin, Chlorpromazin, Clozapin, Melperon, Perazin, Quetiapin, Thioridazin


Niedrigpotente Neuroleptika
Wirkstoffe: Pipamperon, Chlorprothixen, Prothipendyl, Levomepromazin, Amisulprid, Sulpirid, Promethazin


Atypische Neuroleptika
Wirkstoffe: Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Zotepin, Sulpirid, Amisulprid, Risperidon, Ziprasidon, Aripiprazol


INFO: Steckbriefe zu einzelnen Wirkstoffen findest du im Beitrag "Steckbriefe zu einzelnen Psychopharmaka".



Mögliche Langzeitschäden als Folge der Neuroleptikaeinnahme


Insbesondere die Langzeiteinnahme und/oder hohe Dosierungen sind sehr risikoreich und es besteht die Gefahr von Langzeitschäden.
Studien konnten aufzeigen, dass Neuroleptika zu einer Verminderung der grauen Hirnsubstanz (Hirnatrophie) im Frontalhirnbereich führen können. Außerdem können die kognitiven Fähigkeiten durch eine Langzeiteinnahme von Neuroleptika abgeschwächt werden. Dafür ausschlaggebend dürfte insbesondere die eingenommene Gesamtmenge an Neuroleptika sein.

Des weiteren kann es als möglicher Langzeitschaden zu Bewegungsstörungen wie unwillkürliche Bewegungsabläufen, Zuckungen, häufig im Gesicht (Spätdyskinesien), kommen.

Die Langzeiteinnahme senkt statistisch gesehen die Lebenserwartung erheblich.

Neuroleptika sollten daher nur in minimal notwendiger Dosis und nach individueller Abwägung der Vor- und Nachteile dauerhaft eingenommen werden.



Häufige Nebenwirkungen


Wie alle Psychopharmaka können Neuroleptika mitunter starke Nebenwirkungen haben.
Unter anderen können folgende Nebenwirkungen auftreten:
  • körperliche Nebenwirkungen (beispielsweise Verdauungsbeschwerden, Schlafprobleme, sexuelle Funktionsstörungen, Gewichtsveränderungen, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Sehstörungen, unwillkürliche Bewegungen, Muskelsteifigkeit und Zittern, etc.)
  • psychische Nebenwirkungen (beispielsweise Unruhe, Angst/Panik, Gereiztheit, Aggressivität, Depersonalisation/Derealisation etc.)
  • schwere, möglicherweise gefährliche Nebenwirkungen in seltenen Fällen (beispielsweise Blutbildveränderungen, Verlängerung des QT-Zeit Intervalls, Krampfanfälle, Leberfunktionsstörungen, Malignes neuroleptisches Syndrom, etc.)
In der Schwangerschaft stellen alle Neuroleptika ein Risiko für das Ungeborene / Neugeborene dar.

Aufgrund des Risikos schwerer Nebenwirkungen, ist es wichtig, vor und während der Einnahme von Neuroleptika Routineuntersuchungen durchzuführen. Dazu gehört unter anderem ein Blutbild, Leberwerte und ein EKG.

Bei der gleichzeitigen Einnahme mehrerer Medikamente, ist es unbedingt erforderlich, den Arzt darüber zu informieren und die Kombination auf möglicherweise gefährliche Wechselwirkungen zu überprüfen.


INFO: Steckbriefe zu einzelnen Wirkstoffen inklusive der häufigen Nebenwirkungen findest du im Beitrag "Steckbriefe zu einzelnen Psychopharmaka".



FAQ rund um Neuroleptika und ihre Einnahme


Können Neuroleptika heilen?
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Nein, das können sie nicht. Neuroleptika behandeln nicht die Ursache einer Störung, zumal diese oft nicht bekannt ist. Sie können psychotische Symptome unterdrücken oder dämpfen und sie können möglicherweise die Häufigkeit von Rückfällen bei chronischen Verläufen verringern.

Ich hatte schon mehrere psychotische Episoden. Muss ich nun über viele Jahre/ lebenslänglich Neuroleptika nehmen?
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Neuroleptika vermindern möglicherweise das Risiko psycho­tischer Rückfälle. Daher werden sie je nach Anzahl der psychotischen Episoden oft zur jahrelangen oder gar lebenslangen Einnahme verordnet (übliches Schema: 1 Jahr nach der ersten psychotischen Episode, 5 Jahre nach der zweiten Episode, auf Dauer nach der dritten Episode oder bei chronischen Symptomen) .
Diese Langzeitverordnungen berücksichtigen jedoch nicht die Lebensqualität der Betroffenen. Aufgrund von sehr schwerwiegenden Nebenwirkungen, kann diese unter Neuroleptika so sehr beeinträchtigt sein, dass der Schaden einer Langzeitmedikation den möglichen Nutzen übersteigt.

Viele Betroffene beschreiben ihre Lebensqualität ohne Neuroleptika oder mit einer nur geringen Erhaltungsdosis trotz gelegentlicher psychotischen Episoden als deutlich besser als unter Neuroleptika.

Dauerbehandlungen sollten daher regelmäßig hinterfragt und gegebenen­falls beendet werden.

Gibt es Kriterien, die für eine Langzeiteinnahme bzw. eine Reduktion oder Absetzen sprechen?
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Für eine Langzeitbehandlung könnte eine schwere Symptomatik mit langdauernden Krankheitsphasen sprechen, insbesondere bei Eigen- und/oder Fremdgefährdung im akuten Schub.

Faktoren, die für eine Reduktion oder für ein Absetzen sprechen können, sind unter anderem:
  • eine längere Symptomfreiheit nach einer überstandenen Psychose
  • die Nebenwirkungen sind schwerwiegender als der Nutzen bzw. verhindern eine weitere Genesung
  • eine hohe Dosierung der Neuroleptika
  • eine Kombinationsbehandlung mit mehreren Neuroleptika und/oder von Neuroleptika mit anderen Psychopharmaka
  • die Bereitschaft und Fähigkeit sich mit der Erkrankung aktiv auseinanderzusetzen und sein Lebensstil entsprechend anzupassen
  • die Bereitschaft noch bestehende oder wieder auftretende Symptome mit nicht-medikamentösen Strategien zu handhaben

Haben atypische Neuroleptika weniger Nebenwirkungen als die typischen Neuroleptika?
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Das kann man so nicht sagen. Die Bezeichnung "atypisch" wurde bei der Markteinführung gewählt, weil bei diesen Substanzen die typischen Nebenwirkungen der klassischen Neuroleptika (unwillkürliche Bewegungen, Akathisie, Parkinsonismus) nicht vorkommen sollen. Mittlerweile weiß man, dass diese Nebenwirkungen durchaus vorkommen können, wenn auch seltener. Dafür können je nach Wirkstoff andere Nebenwirkungen verstärkt auftreten, wie z.B. Stoffwechselstörungen, hormonelle Störungen, Herzrhythmusstörungen.

Kann es sein, dass die Wirksamkeit meines Neuroleptikum mit der Zeit nachlässt?
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Ja, bei Neuroleptika kommt es mit der Zeit häufig zu einem Wirkverlust. Neuroleptika greifen ja in das sensible Gleichgewicht der Botenstoffe im Zentralnervensystem ein. Das Gehirn registriert diesen Eingriff als Fehler und ergreift Gegenmaßnahmen. Es erhöht die Anzahl bestimmter Dopaminrezeptoren und macht die Rezeptoren insgesamt empfindsamer (sensitiver). So wird die Signalweiterleitung, die das Neuroleptikum dämpfen soll, wieder erhöht.

Die Folge davon ist, dass es zu Durchbruchspsychosen (Supersensitivitätspsychosen) kommen kann. Noch höher ist das Risiko, wenn man zu schnell reduziert. In dem Fall spricht man von einer Absetzpsychose.

Sind niederpotente Neuroleptika leichte Schlaf- oder Beruhigungsmittel?
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Niederpotente Neuroleptika haben eine müde machende und beruhigende Wirkung. Sie wirken nur schwach antipsychotisch und rufen zumeist erst in höheren Dosierungen Bewegungsstörungen hervor.
Daher werden sie gehäuft auch bei Schlafstörungen, Angst-, und Unruhezuständen eingesetzt.

Sie sind allerdings keine harmlosen Medikamente. Sie haben verstärkt vegetative Nebenwirkungen, wie niedriger Blutdruck, beschleunigter Puls, EKG Veränderungen, Mundtrockenheit, Übelkeit etc. Auch sehr schwerwiegende Nebenwirkungen sind möglich.

Bei regelmäßiger Einnahme können auch niederpotente Neuroleptika körperlich abhängig machen. Das Risiko für Absetzsymptome ist bei dieser Gruppe möglicherweise besonders hoch.

Gibt es bei der Einnahme von Neuroleptika zusätzliche Risiken für ältere Menschen?
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Ja, es gibt zusätzliche Risiken. Bei älteren Menschen sind die Nebenwirkungen von Neuroleptika oft noch gravierender als bei jungen Menschen. Ältere Menschen sind oft ohnehin unsicherer auf den Beinen. Bewegungsstörungen durch Neuroleptika führen daher leichter zu gefährlichen Stürzen. Hinzu kommt, dass das Gehirn von alten Men­schen anfälliger gegenüber anticholinergen Nebenwirkungen (z.B. Verwirrtheit, Mundtrockenheit, Schwindel, Benommenheit, Übelkeit, Inkontinenz, Herzrasen) ist.

Auch das Risiko für Stoffwechselstörungen (metabolisches Syndrom) ist für ältere Menschen erhöht.
Bei älteren Patienten mit Demenz-assoziierter Psychose besteht ein erhöhtes Sterberisiko.

Ist es sicher, Neuroleptika in der Schwangerschaft und Stillzeit einzunehmen?
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Alle Neuroleptika bergen ein gewisses Risiko für das Ungeborene und sollten nur bei zwingender Notwendigkeit eingesetzt werden. Die Schwangerschaft sollte sorgfältig gynäkologisch überwacht werden um fetalen Entwicklungskomplikationen (Frühgeburtsbestrebungen, Wachstumsretardierung) rechtzeitig begegnen zu können.

Neugeborene, deren Mütter während des letzten Schwangerschaftsdrittel Neuroleptika genommen haben, sind durch Nebenwirkungen einschließlich extrapyramidaler Symptome (Bewegungsstörungen) und/oder Entzugserscheinungen gefährdet, deren Schwere und Dauer nach der Entbindung variieren können. Es kann zu Unruhe, erhöhtem oder erniedrigtem Muskeltonus, Zittern, Bewusstseinstrübung, Atemnot oder Störungen bei der Nahrungsaufnahme kommen. Daher sollten Neugeborene sorgfältig überwacht werden.

Die meisten Neuroleptika gehen in die Muttermilch über, daher ist beim Stillen eine Risiko/Nutzenabwägung erforderlich.


Weiterführende Links zu diesem Thema:

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